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Wie kommt der Schlick ins Salz?

Hamburg unterirdisch – taz-Serie, Teil 6: In dem unterirdischen Salzbergwerk der Firma Dow Chemical in Stade würde Hamburg gern seinen Hafenschlick endlagern  ■ Von Heike Haarhoff

Barbara hängt an seiner Wand und er an ihr. „Barbara ist eine Heilige.“Der Blick von Michael Werner wandert auf die Frauen-Plastik über seinem Schreibtisch. Von hier aus regiert der Geologe über das Salzbergwerk des Chemiegiganten Dow Chemical in Ohrensen bei Stade. „Barbara ist die Schutzpatronin aller Bergleute“. „Aller Kumpel“müßte es heißen, denkt die Reporterin aus dem Ruhrgebiet, aber warum kleinlich sein?

Bei Stade, in dieser norddeutschen Pampa 50 Kilometer westlich von Hamburg und 350 Kilometer nördlich vom Pott, wird keine Kohle gefördert, bloß Salz, dreieinhalb Millionen Tonnen jährlich, für bislang einen einzigen Groß-Kunden. Der heißt Dow, beschäftigt 1.600 Menschen, und aus dem steinharten unterirdischen Mineral stellt er in seinem Werk in Stade-Bützfleth Chlor- und Natronlaugen zur Aluminium- und Seifenproduktion, Perchlorethylen und andere Chemikalien her. Später lauern die in Auto-Schaumstoffen, Kunststoffbechern und Lacken, aber auch als Andickungsmittel in Tütensuppen oder in CDs.

Demnächst könnte ein weiterer Kunde dazukommen: Hamburg. An einem unterirdischen Deal mit den Hohlräumen, die nach der Förderung übrigbleiben, wäre die Hansestadt durchaus interessiert. Leere, riesige Salzstöcke, Kavernen genannt, als Lagerraum für Hafenschlick. Wie das? „Vielleicht alles der Reihe nach?“, fragt Werner und zeigt auf ein rostiges, unauffälliges Rohr, das in den Boden einbetoniert ist. „Aus 1.500 bis 2.000 Metern unter Tage holen wir das Salz.“

Wie kann es da angehen, daß weit und breit weder Fördertürme noch Abraumhalden zu sehen sind? Bloß hie und da Ansammlungen von Rohren, mickrigen Pipelines und Ventilen, die unmotiviert aus dem Boden herausragen. Dazwischen hunderte von Metern Brachland. Alles mit Nato-Draht umzäunt. „Die Leute kämen sonst hierher zum Grillen“, sagt Werner. Wo überhaupt ist der Eingang zum Schacht, der in die Tiefe führt?

Michael Werner guckt, als wäre die Zeit gekommen, die Heilige Barbara um Kraft und innere Ruhe zu bitten. „Wir sind ein Aussolungs-Bergwerk“, sagt er dann langsam. „Da können Sie nicht einfahren.“Denn Aussolen kommt von Sole, und Sole ist gesättigtes Salzwasser. Also nichts mit langen Gängen, Stollen und Förderkörben unter Tage. Dow bohrt schlicht Löcher in die Erde, kippt Süßwasser durch Doppelrohre hinterher, das das harte Salz aufweicht, und in diesem flüssigen Zustand wird das Steinsalz zu Tage gefördert, pardon: durch die Rohre nach oben gepreßt. Ein Kreislauf. Der Vorteil: Man muß keinen Menschen unter Tage schicken, was Kosten spart, hat keine Salzhalden und dadurch weniger Flächenverbrauch und kann zudem tiefer bohren.

„Normalerweise ist in Salzbergwerken bei 1.100 Metern Schluß, weil die Temperaturen dort bei 70 Grad liegen“, sagt Werner. In Ohrensen hingegen beutet man bis zu zwei Kilometer tief aus: „Mein Job ist, das Salz flüssig zu machen.“Das macht der Geologe einzig am Computer: Wo und wie tief kann am günstigsten in den Salzstock, dieses Faltengebirge, gebohrt werden? Der Computer kann das simulieren. Mit eigenen Augen aber hat Werner nie gesehen, welche Bergschlösser er da unter Tage so ganz nebenbei fabriziert: Das Wasser, das das Salz verflüssigt, höhlt den Salzstock zugleich aus. So entstehen Kavernen, riesige, tropfenförmige Hohlräume, die – bei der Heiligen Barbara! – niemand „Grotten“nennen soll, flucht Werner, weil es sich doch um „meine bergmännischen Ingenieurbauwerke“handele. 22 solcher Kavernen zählt das Werk; bei einem Förderbetrieb rund um die Uhr dauert es 15 Jahre, bis eine ausgebeutet ist. Kein Wunder: In nur eine einzige würde der Hamburger Fernsehturm gleich sechsmal hineinpassen.

Und wenn man doch hinunterklettern... – aber die Vorstellung reizt den Bergwerksleiter nun wirklich nicht. Schließlich hat er seinerzeit auch nicht mit ansehen können, wie die dicke Salzschicht, die einst ganz Norddeutschland unterwanderte, damals, vor 240 Millionen Jahren, sich allmählich zu einem vier Kilometer tiefen Block in einem Radius von zehn Kilometern just unter der heutigen Stadt Stade zusammenschob.

Vielmehr beschäftigt Werner die Zukunft – was mit den ausgebeuteten Kavernen anzufangen sei. Normalerweise läßt man sie einfach mit Wasser vollaufen, aber dann darf direkt daneben nie wieder eine Bohrung stattfinden, wegen der Einsturzgefahr. In Ohrensen wahrt man einen Mindest-Sicherheitsabstand von 300 Metern zwischen den Kavernen; der Ausnutzungsgrad des Rohstoffvorkommens liegt bei nur einem Prozent.

Was, wenn man die Kavernen mit Feststoffen verfüllte? Zum Beispiel mit Hamburgs schadstoffreichem Elbschlick, für den keine Gemeinde alternativ eine Deponie anzulegen bereit ist? Salzstöcke zählen zu den dichtesten Medien, bestens als Speicher geeignet. In Wilhelmshaven wurden nach dem Erdölembargo von 1973 eigens Salzkavernen angelegt. Dort lagern die gesamten Rohölreserven der Republik.

Werner würde jährlich bis zu 700.000 Tonnen Baggergut aus der Elbe „gern bei uns verschwinden lassen“. Schuten könnten den Schlamm über die Elbe nach Stade bringen; von dort würde er durch die werkseigenen Pipelines auf nimmer Wiedersehen versenkt. Der Salzstock würde so stabilisiert, die Produktion sich verdoppeln.

Doch das Einlagern hat seinen Preis: Rund 70 Mark verlangt Dow pro Tonne Schlick; zudem müßte über mindestens zehn, fünfzehn Jahre geliefert werden, solange eben, bis die Kaverne komplett verfüllt ist. Egal, wie sich das Schlickaufkommen und seine Belastung derweil entwickeln. Ein zu hohes Risiko, machte der Hamburger Senat in diesem Frühsommer nach dreijähriger, zäher Verhandlung einen Rückzieher und will den eventuellen Vertragsabschluß der nächsten Regierung überlassen, die am 21. September gewählt wird. „Wir waren schon etwas verschnupft“, sagt Werner. Der Vertrag sei „unterschriftsreif“gewesen.

Ob das Projekt je realisiert wird, ist offen. Die Heilige Barbara hängt schweigend an der Wand.

Ende der Serie

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