Joachim Helfer über László Darvasi

László Darvasi, Jahrgang 1962, wird aus seinem im Frühjahr bei Rowohlt Berlin erschienenen Debütband Das traurigste Orchester der Welt lesen. Wer nun Depressives befürchtet, wird auf das Angenehmste enttäuscht: Zwar scheinen unter den farbigen, mitunter fast folkloristisch anmutenden Legenden- und Märchenmotiven seiner magisch überhöhten Erzählungen die prägenden Erfahrungen im real existiert habenden Totalitarismus durch: ob sie auf (und mit) den Folien „spätstalinistischer Stillstand“ oder „postkommunistische Ernüchterung“ spielen, ungefähr im Deutschland zwischen Klassik und Romantik angesiedelt sind oder fest in der Zeit- und Ortlosigkeit eines Gleichnisses verankert – der kalte Atem unterschwelliger Bedrohung, die leise Musik der Traurigkeit durchzieht sie alle.

Was aber einem ostdeutschen Musikanten zum wehleidigen Largo oder zum wütend um sich schlagenden Furioso geriete, schlägt bei Darvasi unverhofft in ein gelöstes Allegretto um; seine Traurigkeit ist vital, seine Düsternis leuchtet, die quälende Alltäglichkeit eines von Angst und dem unerträglichsten Mangel, vom Mangel an Hoffnung bestimmten Lebens, eine Vorhölle, die er gewiß nicht beschönigt, vielmehr vorführt in ebenso grellen wie genauen Grimassen, trägt, trotz allem, zuweilen geradezu bukolische Züge. Gerade die gärende Ambivalenz seiner Erzählungen, ihre zwischen einander ausschließenden Stimmungen, zwischen Leiden an der Sinnlosigkeit und sinnlich um so tiefer erlebter Lust weniger schwankenden als schwebenden Atmosphäre, löst sie aus den Erklärungsmustern und Lesarten der Nachkriegszeit – und weist sie aus als neueste (nämlich ungeheuer archaisierende) postpostmoderne europäische Prosa.