Gegen die Zünfte

Unabhängige HandwerkerInnen protestieren heute in Bonn gegen den Zwang zur Meisterprüfung  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – „Auf der ganzen Welt kannst du ohne Meisterbrief uneingeschränkt schaffen, nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg nicht“, beschwert sich der Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker (BUH) in seinem Demo-Aufruf: „Auf zum blauen Montag!“ Heute um zehn Uhr werden Handwerker in Arbeitskluft in Bonn ihrem Unmut Luft machen.

Wer in Deutschland ein Handwerk ausüben will, muß prinzipiell einen Meisterbrief haben und in die Handwerksrolle A der Handelskammer eingetragen sein. Dazu muß er einen Kurs belegen, für den je nach Sparte und Region 10.000 bis 25.000 Mark verlangt werden. Der Kurs dauert ein Jahr. Rechnet man den Verdienstausfall dazu, dann kostet der begehrte Brief bis zu 100.000 Mark.

Der BUH sieht im Meisterzwang eine „nicht akzeptable Einschränkung der Berufs- und Gewerbefreiheit“. Mit Folgen auch für Arbeitsplätze. Der Initiativkreis Wirtschaft der SPD hat 1996 ein Potential von 200.000 Arbeitsplätzen errechnet, das durch vermehrte Existenzgründungen im Handwerk freigesetzt würde: Denn Arbeitslose mit Gesellenbrief scheuen vor dem Meisterkurs zurück. Und vor allem Frauen, die Kinder haben wollen, lassen das Projekt „eigenes Geschäft“ wegen der Zusatzbelastung Meisterschule häufig gleich bleiben.

Eingeführt wurde der Meisterbrief durch die Zünfte im Mittelalter. 1810 wurde er in Preußen abgeschafft, 1869 in ganz Deutschland die allgemeine Gewerbefreiheit eingeführt. Die Nazis machten dann per Gesetz 1935 den Meisterbrief wieder obligatorisch. Nach 1945 schafften die Alliierten die „undemokratische“ Pflicht wieder ab, doch schon 1953 eroberten sich die Handwerkskammern dieses Zunftinstrument wieder zurück.

Den Kammern zufolge sei nur so ein hohes Ausbildungsniveau und eine gute Arbeitsqualität gesichert. Der BUH läßt das nicht gelten. „Schon im jetzigen System übernimmt die Ausbildung oft ein Lehrgeselle und nicht der Meister“, sagt Michael Nahrath, Sprecher im BUH und selbständiger Zimmerergeselle. Schließlich sei der Chef schon ab fünf Angestellten in seinem Betrieb zu etwa 80 Prozent seiner Zeit mit Einkauf und Büroarbeiten beschäftigt. Und die Qualität der Arbeit hänge nicht von einer einmaligen Prüfung ab. Da sei Fortbildung wesentlich wichtiger, und dazu brauche man auch keinen Meisterbrief.

Es gibt ein kleines Schlupfloch, nämlich der Gewerbeschein für ein reisendes Gewerbe, nach Paragraph 55 der Gewerbeordnung. Unter komplizierten Auflagen können Handwerker so auch ohne Meisterschein selbstständig arbeiten. Aber die Handwerkskammern und mit ihnen oft die Ordnungsämter prüfen in letzer Zeit immer häufiger, ob sie den Reisegewerbetreibenden nicht eine Klage anhängen können.

Der Treppenwitz an der Geschichte: Jeder, der im Ausland sechs Jahre selbstständig war, kann in Deutschland einen Betrieb eröffnen – ob er nun einen Meisterbrief hat oder nicht. So schreibt es das EU-Recht vor. Doch die EU- Richtlinie greift in Deutschland nicht, weil ja hier inländische Gewerbetreibende benachteiligt anstatt bevorzugt werden. Dieser Fall ist im europäischen Paragraphendschungel nicht berücksichtigt.