: Mir-Kosmonauten wollen nicht fliegen
■ Zurückgekehrte Crew wehrt sich gegen Vorwürfe. Neue Panne mit „außergewöhnlicher Situation“ im All
Berlin/Moskau (taz/AP) – Die zurückgekehrten russischen Mir-Kosmonauten wollen doch noch Helden sein und keine Sündenböcke. Die Schuld an der Misere an Bord würde ihnen zu Unrecht in die Raumanzüge geschoben. „Einige hätten uns gerne als Leichen zurückkehren gesehen“, sagte Kommandant Wassili Ziblijew sarkastisch auf der Pressekonferenz am Samstag. Tatsächlich sei die Mir nur deswegen immer noch funktionstüchtig, weil er und sein Bordingenieur Alexander Lasutkin ihr Leben riskiert hätten – und trotz gefährlicher Situationen an Bord geblieben seien. Deshalb soll man nicht die Fehlschläge, sondern den Erfolg der Mission in Erinnerung behalten: „Wir sind lebend zurückgekommen.“
Nach den Worten der Kosmonauten waren die drei Zwischenfälle – ein Feuer, ein Leck im Kühlsystem und der spektakuläre Zusammenstoß – während der jüngsten Mission wesentlich schwerwiegender als bisher bekannt. In allen Fällen forderte die computergesteuerte Sicherheitskontrolle der elf Jahre alten Station die Besatzung zum unverzüglichen Verlassen auf. „Es begann gleich am Anfang – und nicht, weil wir Stümper sind“, sagte Ziblijew. „Wenn wir Stümper wären, hätten wir die Mir schon am 23. Februar nach dem Feuer aufgegeben.“ Offizielle der russischen Bodenkontrolle hatten den Brand in einer Sauerstoffanlage als Minifeuer bezeichnet, das die Crew keineswegs gefährdet hätte. Die Besatzung habe dagegen drei Wochen gebraucht, um alle Lecks zu finden und zu dichten. „Die Mission war holprig bis zum Schluß.“ Noch bei der Landung der Sojuskapsel in der kasachischen Steppe, hätten die Landedüsen versagt, so daß die Kapsel hart aufschlug.
Auch die neue Mission der Mir steht offenbar unter keinem guten Stern. Das für Sonntag geplante Andockmanöver eines Versorgungsschiffs wurde um mindestens einen Tag verschoben. Eine „außergewöhnliche Situation“ an Bord der Station habe dies erforderlich gemacht, erklärte ein Mitarbeiter des Kontrollzentrums bei Moskau, ohne nähere Angaben zu machen. Damit ist auch der Reparaturplan für das Leck im Spektr-Modul der Mir in Gefahr: Eigentlich sollte damit noch diese Woche begonnen werden.
Den beiden zurückgekehrten Kosmonauten droht ein Disziplinarverfahren, falls die Anschuldigungen von der Raumkontrolle offiziell erhoben werden. Ziblijew hatte während der Mission mit Herzrhythmusstörungen zu kämpfen. Auch der jüngste Fehler, das Ziehen eines falschen Steckers, der die Stromversorgung zusammenbrechen ließ, wird ihm nachgesagt. Mehrere deutsche Astronauten, wie Ulrich Walter und Siegmund Jähn sprachen von Fehlern der Crew. Allerdings sei die Belastung für die Kosmonauten erheblich gewachsen. Die Mir ist bereits doppelt so lang in Betrieb als ursprünglich geplant: Die Wartungsarbeiten nehmen immer mehr Raum ein, der Arbeitstag ist auf 14 Stunden und mehr angewachsen – und damit auch die Anspannung. Angesichts der vielen Pannen wurden in den USA schon Stimmen laut, die forderten, die Zusammenarbeit mit Moskau einzustellen. Doch die Erfahrungen auf der Mir sind wichtig für die geplante neue internationale Raumstation ISS unter Federführung der Amerikaner. Viele Experten sehen auch Vorteile in der unglücklichen Lage – so würden viele Erfahrungen gesammelt.
Jelzin sind dagegen die Pannen unangenehm. Der russische Präsident sagte jüngst, die Verantwortung läge beim Kommandanten. Ziblijew antwortete nun verärgert auf den Vorwurf: „Die Suche nach einem Sündenbock hat Tradition in Rußland.“ Offizielle, die die Pressekonferenz leiteten, intervenierten eilig an dieser Stelle: Jelzin könne auch den Kommandanten der Bodenstation gemeint haben.
An der schlechten Lage an Bord sei nicht die Mir selbst, sondern die schlechte Wirtschaftslage in Rußland schuld: „Viele Dinge, die wir an Bord brauchten, sind nicht da“, klagte der Ziblijew. „Und wir sprechen nicht über Kaffee, Tee und Milch.“ Wichtige Ersatzteile würden auf der Erde zu knapp, überteuert oder gar nicht mehr hergestellt. Matthias Urbach
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