Der Kampf um die Quote

Der Frauensender tm3 trat an mit dem Anspruch, nicht Damen, sondern Motorräder zu frisieren. Was nach zwei Jahren daraus wurde, bilanziert  ■ Ellen Hasenkamp

Beine hinter Gitter, ganz groß im Bild. Dann setzt sich die Kamera in Bewegung, schleicht vom Knöchel an aufwärts über das schwarze Muster der Netzstrümpfe. Gleitet über die rundlichen Knie, über die Schenkel langsam höher. Überquert den Rocksaum, verweilt ein wenig auf dem knapp sitzenden Schößchen des taillierten Blazers, kriecht über den Ausschnitt. Und zeigt schließlich das Gesicht.

Ein Hauch von Koketterie und viel Verlegenheit malen sich in diesem Gesicht. Unter frisch getuschten Wimpern huschen helle, grüne Augen hin und her. Die Wangen sind noch ein bißcher röter, als es der Puderpinsel wollte. Die Kamera zoomt zurück in die Totale. Nervös steht Daniela da, auf hohen Hacken, im kleinen Schwarzen, und hält sich an der passenden Handtasche fest. Daniela ist 17 Jahre alt, und eigentlich ist ihre Mutter schuld an der mißlichen Lage. Aber die ZuschauerInnen im Studio sind begeistert. „Zum Fressen süß“, attestiert ein Mittvierziger, dem die Moderatorin auffordernd das Mikro hinhält. Daniela lächelt vorsichtig. Bisher fühlte sie sich in Jeans und Pulli eigentlich ganz wohl, doch ihre Mutter wollte, daß die Tochter mal „ein bißchen sexy“ aussieht. Und irgendwie wollte Daniela das auch. Deswegen steht sie jetzt im schweißtreibenden Scheinwerferlicht der „Vorher-Nachher-Show“. Die heißt wirklich so und läuft auf tm3. Das heißt, sie lief. Das heißt, sie wird jetzt noch ein bißchen aufgestylt und soll dann – wie Daniela – richtig toll rauskommen. Abendshow, große Unterhaltung, Viertel nach acht.

Weder Motorräder noch Zuschauerinnen

tm3, das ist der Sender, der vor ziemlich genau zwei Jahren speziell für die weibliche Welt auf Sendung ging. Der damals vor allem mit frechen Plakaten von sich reden machte: „Fernsehen für Frauen? Ist ja süß!“ grinste süffisant der Mann. „Nöö! Scharf!“ antwortete schlagfertig tm3. Oder: „Fernsehen für Frauen? Frisieren und so was?“ – „Ja! Motorräder!“ Bislang allerdings sind die Motorräder ausgeblieben. Die Zuschauerinnen auch. Quoten rückt der Münchner Sender gar nicht erst raus, und Chefredakteurin Anna Doubek spricht von „zum Teil deprimierenden Erkenntnissen“. Deswegen kriegt tm3 nun auch ein neues Outfit: Vom Untertitel „Fernsehen für Frauen“ will man sich verabschieden, ihn „defensiver“ formulieren, sagt die Chefin. Frauen wollen keinen Sender, wo „Frauen“ draufsteht. So kompliziert ist das.

Und weiter werden auch keine Motorräder frisiert, sondern Haare toupiert und Fingernägel lackiert. So etwas muß eben sein in einem privaten Programm, das es möglichst vielen recht machen soll, weil jemand möglichst viel Geld verdienen will. Denn nicht eine Mutter namens Frauenbewegung brachte tm3 zur Welt, sondern zwei Herren namens Herbert Kloiber und Heinz Bauer. Als Medienunternehmer interessiert sie nach Sendeschluß vor allem eines: die Kasse. Und weil die nach achtzehn Monaten Betrieb immer noch nicht klingelte, verabschiedete sich der Hamburger Bauer Verlag im März dieses Jahres gleich wieder. Seitdem ist die Tele München des Filmhändlers Herbert Kloiber alleiniger Träger. Bisher ist das Zuschußgeschäft, das ziemlich viel Geld kostet. 60 Millionen Mark Verlust im ersten Jahr, munkelt die Branche. Bislang kann Kloiber, Deutschlands zweitgrößter Filmhändler nach Leo Kirch, sich das leisten. Für den Mißerfolg macht Anna Doubek auch die geringe Reichweite verantwortlich. Die Kanäle sind voll, nur die Hälfte aller Haushalte kann tm3 überhaupt empfangen. Wichtige Städte wie Köln und Berlin sind frauenfernsehfrei. „Wer da nicht ist, hat eigentlich verloren“, klagt Doubek. Dabei waren die Erwartungen immer schon niedrig, 1,5 Prozent Marktanteil wären ganz schön, hieß es von Anfang an.

Eingeschränkt war man auch durch das Medienrecht. Weil die Tele München bereits bei RTL2 engagiert ist, durfte mit tm3 kein weiteres Vollprogramm entstehen. Es blieb, einen Spartenkanal zu gründen. Doch wenn schon Sparte, dann bitte gleich die größte. Schon „rein opportunistisch-formale Gründe“, so drückte es tm3-Geschäftsführer Jochen Kröhne einmal aus, sprachen für die Frauen. 53 Prozent Bevölkerungsanteil, das ist die größte Zielgruppe.

Damit die auch zuschaut, wurde reichlich aufgelegt. Seifenopern wie „Reich und schön“, Game- Shows wie „Geh aufs Ganze!“ und Ratespiele wie „Ruck Zuck!“. Abends Spielfilme, die Comedy „Manngold“ und „Oprah Winfrey“, die Urmutter aller Talkerinnen. Und „Working Women“, ein anspruchsvolles Magazin. Nein, ein biederer Hausfrauensender ist tm3 nicht, von frechem Frauenfunk aber kann die Rede auch nicht sein. tm3 soll betören und ist sich darüber selbst fremd geworden. Ein bißcher unsicher, wie Daniela, schaut frau an sich herunter: Das sollen wir sein? Aufgemotzt von kundigen Händen, bleibt zwar die Persönlichkeit auf der Strecke, doch erlaubt ist, was gefällt.

Frauen sind halt wunderbar, das finden vor allem die Werbekunden. Für Shampoos und Haarspray wird geworben wie nie zuvor. Aber auch die Hersteller von Tütensuppen und Klopapier werben gern vor weiblichem Publikum. Denn „Männer sind zu faul zum Einkaufen, deswegen wird der Haushalt überwiegend von Frauen zusammengestellt“, sagt Volker Nickel im Namen des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft.

Bei rund sieben Milliarden Mark, die 1996 alle Fernsehanstalten zusammen mit der Werbung einnahmen, lohnt sich für tm3 durchaus, an diesem Kuchen mitzuknabbern. Bislang allerdings fielen nur spärliche Krümel ab. Wo wenig ZuschauerInnen sind, da läuft auch wenig Werbung. Dabei weiß die Werbewirtschaft, so steht es in ihrem Jahrbuch, „feste Programmformate und konsequente Zielgruppenausrichtung“ sehr zu schätzen. Nur leider sind vierzig Millionen Frauen keine überschaubare Zielgruppe, sondern eine unüberschaubare Masse, die ebenso unüberschaubare Fernsehwünsche hat. Damit auch keine von vornherein verschreckt werde, kam der neutrale Name – der als Kürzel für das dritte Fernsehprojekt von Tele München steht und nicht etwa für „tolle Mädels“ oder „Tod den Machos“ – gerade recht.

Ganz auf Name und Persönlichkeit setzt hingegen die Redaktion bei ihrem Aushängeschild – dem Sonntagabendmagazin. Aus „tm3 – das Magazin“ wurde „Anna Doubek – Das Magazin“. Die Hand der Chefredakteurin Anna Doubek ist prägend – buchstäblich. Denn in schwungvoll gerundeten Lettern leuchtet ihr Namenszug von der Glasplattendekoration. Mutig trat das Magazin zunächst um 20.15 Uhr an, gegen die Konkurrenz von Sonntagabendspielfilm und Tatort. Das war dann doch zu kühn gedacht, jetzt läuft „Anna Doubek“ erst gegen zehn. Dann hat sogar der „Feminismus“ als Sendethema Platz, dann sitzt eine fröhliche Alice Schwarzer als Gast im Studio. Und das Küken tm3 erweist sich gegenüber der reifen Emma-Mama als durchaus würdiger Gesprächspartner. Im „Anna Doubek“-Magazin sind sie endlich zu finden, die interessanten Porträts, die hintergründigen Berichte und spannenden Reportagen. Dennoch – allzuviel Gemeinsamkeiten sieht Schwarzer nicht. „tm3 – das hat mit Emma überhaupt nichts zu tun“, sagt sie nach der Sendung. „Hier wird versucht, über das Feminismus-Ticket einen ganz und gar kommerziellen Sender aufzuziehen.“

Für die Frauen von tm3 ist das kein Widerspruch. „Natürlich müssen wir kommerziell sein“, sagt Dagmar Walser, die stellvertretende Chefredakteurin. Und natürlich muß dafür mal wieder das Bild herhalten von der schwierigen Wanderung auf dem schmalen Grat, der Anspruch und Massengeschmack voneinander trennt. „Uns“, sagt Walser und meint damit die knapp dreißig Frauen und eine Handvoll Männer, die für das Programm verantwortlich sind, „uns liegen natürlich die Magazine mehr am Herzen.“ Doch Frauen sind scheinbar auch nicht anders als der Rest der Welt. Die venezolanische Schmonzette „Morena Clara“ war – sehr zum Verdruß der ehrgeizigen Redakteurinnen – der absolute Zuschauerliebling. Natürlich sei die Serie „unsäglich schlecht“, sagt Walser, doch viele, so scheint es, sehen solche Geschichten eben gern.

Die Quote hat immer recht – auch beim TV für die Frau

Weil das Budget knapp ist – rund 140 Millionen pro Jahr –, muß sich jede Produktion rechtfertigen. Was sich nicht rechnet, wird eingestellt. „Frieda“, das fröhliche Guten-Morgen-Fernsehen, das durchaus informativ den Tag zu beginnen wußte, war das erste Opfer. „Kinderella“, das Elternmagazin mit „öffentlich-rechtlicher Qualität“, wie Anna Doubek sagt, folgte hinterdrein. „Ultima“, die Talk-Show, wurde ebenso verbannt wie das Jugendmagazin „Heart Attack“. Statt dessen flimmern weitere Familien-, Ärzte- oder Modedramen in unendlicher Fortsetzung über den Bildschirm. Die Quote hat eben immer recht. Auch beim Frauenfernsehen.