■ Die Substitutionsprogramme haben ihr Ziel nicht erreicht. Sie werden aus wirtschaftlichen Gründen aufrechterhalten
: Die Methadonpolitik ist gescheitert

Im September 1987 fand in Berlin ein denkwürdiges Gespräch zwischen der Drogenhilfe und der Deutschen Aids-Hilfe statt. Thema war die Substitution Drogenabhängiger mit Methadon. Eigentlich war man sich schon einig: Methadon wurde als sinnvolle Ergänzung des Drogenhilfeangebotes für eine kleine Zahl Abhängiger angesehen. Die Freude über die Einigung wurde jäh getrübt durch die Erkenntnis, daß die Drogenhilfe mit der „kleinen Zahl“ 1.000 bis 2.000, die Aids-Hilfe jedoch 10.000 bis 20.000 meinte. Der scheinbar errungene Konsens war dahin, die Empörung auf seiten der Drogenhilfe groß. Es war der Auftakt eines bis heute anhaltenden Streits.

Noch im selben Jahr kündigte das Land Nordrhein-Westfalen an, die medikamentengestützte Rehabilitation bei Opiatabhängigen zu erproben.

Ein Sturm brach los. Die Auseinandersetzungen in der Drogenhilfe hatten die Politik erreicht, und beiden Konfliktparteien wurden assistiert von Fachkräften der Drogenhilfe, Medien und engagierter Öffentlichkeit. Wie bei jedem Konflikt dieser Größenordnung wurden die ursprünglich wohlüberlegten und begründbaren Urteile zu Keulen geschnitzt und den Kontrahenten mit wechselnder Eleganz um die Ohren gehauen.

Und es kamen Experten. Jeder, der das Wort Substitution ohne zu stottern aussprechen konnte, war Experte und durfte öffentlich Stellung nehmen. Untersuchungen jeglicher Art und Qualität wurden präsentiert und als Beleg dafür herangezogen, daß die andere Seite nun wirklich völlig falsch läge. Unentwegt wurde der ständige Kronzeuge Robert Newman aus den USA eingeflogen, der Loblieder auf die Substitution sang. Spätestens hier hätte man stutzig werden müssen. Gerade die USA sind nicht dafür bekannt, im sozialen Bereich richtungweisend zu sein.

Die Protagonisten der Methadon-Heilslehren in Parlamenten und Parteien müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, mehr versprochen zu haben, als sie halten konnten. Zwar wurden umfangreiche und zum Teil sehr kostspielige Programme aufgelegt; es wurde aber selten Sorge dafür getragen, daß die Substitution auch wirksam wird. Die Aktivitäten konzentrierten sich lediglich auf die medizinische Seite, die wichtige psychosoziale Betreuung wurde vernachlässigt. Sie sollte von den Drogenberatungsstellen nebenbei gemacht werden. So blieben viele Substituierte unbetreut und ohne Chance, wirklich etwas an ihrem akuten Drogenkonsum ändern zu können.

Substitution im eng gesteckten Rahmen hat zweifellos positive Effekte. Die psychosoziale Betreuung Substituierter bietet der Drogenhilfe die Chance, Abhängige frühzeitig zu erreichen und Entwicklungsprozesse wieder in Gang zu setzen, die durch den Drogenmißbrauch und die Abhängigkeit gestoppt wurden. Sorgen müssen uns jedoch die Trittbrettfahrer machen, die ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen an dieses Hilfeangebot für Abhängige binden.

Plötzlich wird der liberale Umgang mit Drogen zur Sache des Fortschritts erklärt: Jeder Mensch soll selber entscheiden dürfen, was er mit den verfügbaren Drogen anstellt. Aber diese These mißachtet die Tatsache, daß Drogen auch mißbraucht werden, daß Drogen Gefahren bergen und Sucht zu den am schwierigsten zu behandelnden Krankheiten zählt. Bei Menschen, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse an den Rand gedrängt werden, ohne Perspektive, arbeitslos, mittellos und obdachlos sind, sind Drogen die einzige Möglichkeit, ihre Situation zu ertragen. Was aber ist daran fortschrittlich?

Es ist kein Ausdruck reaktionärer Gesinnung, Drogen an bestimmten Orten, zu bestimmten Zeitpunkten und in bestimmten Entwicklungsstufen als schlechten Begleiter des Menschen anzusehen und zu verbieten.

Woher kommt das vitale Interesse an einer Substitution, die nicht Glied einer therapeutischen Kette ist? Es sind massive wirtschaftliche Interessen. Mediziner wollen die Behandlung der Sucht wieder in ihre Verantwortung übernehmen. Im Glauben, das Substitut würde im Sinne eines Medikamentes helfen, verschreiben einige wahllos Betäubungsmittel in der Hoffnung, bereits so würden Linderung und Besserung des Suchtverhaltens eintreten. Konsequenz dieses leichtsinnigen Tuns ist eine unübersehbare Gruppe Drogenabhängiger in ärztlicher Behandlung, die keines der Ziele der Substitution auch nur annähernd erreichen.

Die Medizin erweist sich als unfähig, die Verschreibung von Betäubungsmitteln zu begrenzen oder gar fachliche Standards für die Substitution zu entwickeln. Die Statistiken der Drogenhilfeeinrichtungen im Jahr 1997 zeigen, daß nahezu jeder Drogenabhängige von Ärzten Ersatzmittel aller Art verschrieben bekommt. Die Zahl der mit dem legalen Codein Substituierten übersteigt die Zahl der Klienten in offiziellen Methadonprogrammen um ein Vielfaches. Wenn in München sogar Minderjährige von Ärzten Codein erhalten, weil auf Drogen sofort mit Drogen geantwortet wird, zeigen sich darin die unverantwortlichen Auswüchse der Substitutionsdebatte.

Nach zehn Jahren Substitution haben sich die Indikatoren des Drogenproblems in Deutschland in keiner Weise verändert. Die Zahl der Opiatabhängigen ist gleichbleibend hoch, die Zahl der Neueinsteiger wächst nach wie vor, die Todeszahlen sind nicht nennenswert zurückgegangen. Aus diesen Zahlen wird deutlich, daß die Substitution ganz offensichtlich keine Auswirkungen auf die ordnungspolitischen Dimensionen des Drogenproblems hat. Damit entfallen die wesentlichen Argumente für eine liberalisierte Substitution. „Politische Methadonprogramme“ sind gescheitert.

Inzwischen erleben wir eine Neuauflage der Debatte. Mit denselben Argumenten wie bei der Einführung der Substitutionsprogramme wird nun die „Originalstoffverschreibung“ mit Heroin gepriesen. Ohne daß die Möglichkeiten der Methadonsubstitution ausgereizt wären, springen die Besserwisser auf einen neuen Zug und verkünden, jetzt aber die endgültige Lösung des Drogenproblems gefunden zu haben.

Drogenhilfe ist Sache der Drogenhilfe. Jede Vereinnahmung ihrer Methoden und Konzepte verkürzt, verfälscht und macht zu vermeintlichen Rezepten, was nur Konzepte sind. Methadon kann dem einzelnen Abhängigen helfen. Den Politikern hilft es nicht, ihre Probleme mit einer süchtigen Gesellschaft zu lösen. Jost Leune