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Fast überflüssig neben Haider

Österreichs Konservative verlieren ständig an Bedeutung – und ÖVP-Parteichef Wolfgang Schüssel gerät innerparteilich stark unter Druck  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Österreichs Vizekanzler und Außenminister Wolfgang Schüssel muß ab heute um seinen Kopf als Parteichef kämpfen, wenn die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) zu ihrer Sommerklausur im Luftkurort Windischgarsten zusammentritt. Während Schüssel samt Familie in den Sommerurlaub nach Disney-World entschwunden war, hatten einige der mächtigen Landeshauptleute in aller Öffentlichkeit an seinem Sessel gesägt.

Auf einer Bergwanderung hatte Tirols Landeshauptmann Wendelin Weingartner Anfang August mit der Empfehlung überrascht, dem Parteichef müsse ein geschäftsführender Parteiobmann an die Seite gestellt werden. Zur Entlastung, versteht sich. Und Salzburgs Landeshauptmann Franz Schausberger komplettierte die Breitseite aus dem Westen: „Die Kooperation der Bundespartei mit den Ländern ist nicht optimal. Das führt immer wieder zu unnötigen Diskussionen.“

Wolfgang Schüssel steht seit einiger Zeit am Pranger. Unter seiner Ägide ist die Große Koalition, in der die ÖVP neben den Sozialdemokraten den Juniorpartner abgibt, zur kleinen Koalition geworden. Nach allen Umfragen der jüngsten Zeit haben nämlich Jörg Haiders rechtslastige Freiheitliche (FPÖ) die Christdemokraten in der Wählergunst überholt. Nur weil sie in einigen Bundesländern den Landeshauptmann stellt, ist die ÖVP noch nicht ganz in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

In Windischgarsten steht die Obmanndebatte nicht als Punkt auf der Tagesordnung. Offiziell geht es vielmehr um Marketingprobleme. Denn die ÖVP, so die interne Kritik, verkaufe sich und ihre Ideen nicht gut genug. Man müsse, so Schüssel selbstkritisch, „mit dem Feuer der Überzeugung an die Bürger herantreten“. Das bürgerliche Lager und die Bauern, die die ÖVP nach dem Krieg zur stärksten Partei machten und ihr 1966 bis 1970 sogar eine Alleinregierung verschafften, gibt es längst nicht mehr als verläßliches Wählerpotential. Daß Schüssel Österreich unbedingt in die Nato drängen will, während die Mehrheit der Österreicher an der altbewährten Neutralität festhalten möchte, macht die Sache nicht besser.

Warum die Ablösung an der Parteispitze eher einem langsamen Ritualmord gleicht als einer generalstabsmäßig inszenierten Hofübergabe im Stil der Sozialdemokraten, hat nicht zuletzt mit der obsoleten Struktur der ÖVP zu tun. Sie hat aus der Zeit des Austrofaschismus die ständische Organisation in die Nachkriegszeit herübergerettet. So haben der Bauernbund, der Wirtschaftsbund, der Arbeiter- und Angestelltenbund und die Industriellenvereinigung bei allen Strategie- und Personaldiskussionen ein Wörtchen mitzureden. Die traditionell starke Position der Landesfürsten tut das Ihre, um Verschwörungen zu fördern. Wer nach losgetretener Obmanndebatte den Dolch des Brutus zückt, bleibt bis zuletzt offen.

Frustriert über alle sarkastischen Kommentare und mitleidigen Ratschläge, bemüht sich die Partei jetzt um die Wähler von übermorgen. Donnerstag nachmittag wollen die Politiker ihr Profil gegenüber 70 Kindern aus dem bäuerlichen Milieu erläutern.

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