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Portrait des Gesetzes

■ 1994 wurde der rechtsextreme NPD-Chef Deckert freigesprochen: "Portrait eines Richters" (arte, 20.45 Uhr)

Bei Norbert Kückelmanns neuestem Werk handelt es sich nicht, wie der Titel vorgibt, um das Portrait eines Richters – obgleich er den Fall des Mannheimer Landrichters Rainer Orlet aufgreift, der den u.a. wegen Leugnen des Holocausts angeklagten NPD-Chef Günter Deckert im August 1994 mit seiner Urteilsbegründung zu einer Bewährungsstrafe praktisch reingewaschen hatte. Nein, Kückelmann, bekannt für die Verfilmung authentischer Justizfälle, hat dieses Mal weit Grundsätzlicheres im Visier als sonst: das Selbstverständnis der „Dritten Gewalt“, das auf der vermeintlichen Unabhängigkeit von Richtern fußt, und die fatale Kluft zwischen Gesetz und tatsächlicher Gerechtigkeit, von Juristengeneration zu Juristengeneration eigensüchtig perpetuiert.

Zum Beweis bietet er als Texteinblendung und damit sprachlos die Philosophie des Bundesgerichtshofs dar, der das Deckert-Urteil mit Orlets Begründung zwar aufgehoben, dabei aber Wert auf Feststellungen folgender Art gelegt hat: „Der Hinweis auf Parallelen zu richterlichen Urteilen aus der NS-Zeit geht fehl. Daß Richter in der damaligen Zeit objektiv Unrecht begingen, ist den verantwortlichen Personen anzulasten. Das Rechtssystem ist neutral und geht unangefochten aus Zeiten des Unrechts hervor.“

So ist „Portrait eines Richters“ auch eher als Portrait dieses Systems angelegt, Kückelmanns Generalabrechnung sozusagen. Selbst promovierter Jurist und als Rechtsanwalt und Strafverteidiger seit nahezu 40 Jahren auch persönlich „Teil der Rechtspflege“, weiß der inzwischen 67jährige nur zu genau, wovon er redet. Er tut es sehr kontemplativ und seltsamerweise gerade da irgendwie ungelenk, gehemmt, beinahe unprofessionell befangen, wo es um jenen Part des juristischen Metiers geht, den er selber in realiter so viele Jahre wahrgenommen hat: wo der Anwalt vor Gericht agiert. Kückelmanns Hauptfigur ist nämlich ein Rechtsanwalt und nicht die filmische Adaption des Richters Orlet.

Diesen hingegen zeichnet Kückelmann als bemerkenswert zurückhaltende, fast noble Figur: Kückelmanns Orlet/Kemp könnte jedweder Richter an jedwedem Gericht jedweder, auch der höchsten, Instanz sein, das ist die bittere Botschaft.

Die Kontinuität ergibt sich auch im Film, denn Kückelmann rollt einen weiteren authentischen Fall auf, eines jener menschenverachtenden Rasse-Urteile der berüchtigten Nazi-Sondergerichte. Demnach war ein jüdischer Kaufmann wegen angeblicher Rassenschande zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Seine Patentochter, die dem Geächteten hatte helfen wollen und die Vorwürfe ebenso energisch wie vergeblich bestritt, war wegen des gleichen „Delikts“ und obendrein wegen angeblichen Meineids zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Im Verfahren gegen die NS-Richter nach dem Krieg wurde ihr wieder nicht geglaubt, die furchtbaren Juristen kamen „nach Gesetz und Sachlage“ frei. Auch als alte Frau scheitert ihr Streben nach Gerechtigkeit, ausgerechnet an Richter Kemp... Ulla Küspert

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