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■ Geschichtsstunde mit dem Holzhammer: „Als das Jahrhundert noch jung war“ (sonntags, 22.20 Uhr, ZDF)

„Als das Jahrhundert jung war, da war die Welt noch heil: diesen Eindruck jedenfalls vermitteln viele Bilder aus der Belle Époque ...“ Mit diesen Worten beginnt Dieter Francks gleichnamige Historiendokumentation in zwölf Teilen. Kolorierte Filmbilder von eleganten Damen, die im Salon flanieren, zeigen in der Tat eine heile Welt. Kameramänner aus der Pionierzeit des Films produzierten in der Regel solch burleskes Material. Doch davon spricht die Dokumentation ebensowenig wie von der Herkunft der „lange verschollenen Filmaufnahmen“, die „bei einer der größten Suchaktionen, die das ZDF je unternommen hat, in den Archiven der ganzen Welt entdeckt“ wurden, wie der Pressetext prahlt.

Filmmaterial hat seine eigene Geschichte. Doch darauf gibt es hier keine Hinweise. Nur einmal, zu den Bildern zaristischer Soldaten, die in eine Menge hungernder Bauern feuern, sehen wir das warnende Insert: „Kommunistischer Propagandafilm“.

Ansonsten sind die Bilder einfach da und werden in einen Setzkasten der Geschichtsschreibung eingeordnet. Ein konventioneller Rückblick, der um den statischen Kommentar der jeweiligen Filmbilder herum angeordnet ist. Königin Victoria im Garten, Kaiser Wilhelm zu Pferde. In fernsehtauglichen Worten erzählt wird, was in den Geschichtsbüchern steht. Folge 1 berichtet vom Niedergang der Monarchen und Aristokraten durch das Aufkommen neuer Technologien, Folge 2 vom I. Weltkrieg und Folge 3 von der Kolonialzeit.

Trotz einzelner Schwerpunkte und trotz des Umfangs der zwölf fünfundzwanzigminütigen Dokumentationen bleibt das Unterfangen eine visuelle Readers-Digest- Version der Historie des Jahrhundertbeginns. Der Film spießt historische Ereignisse auf wie bunte Schmetterlinge im Glaskasten. Vergilbte Porträts von Staatsmänern erscheinen in farblich unpassenden Bilderrahmen, die mit dem Holzhammer suggerieren: Hier geht es um Geschichte. Ruhepunkt in diesem Bilderexpress sind die immer wieder gesuchten und gefundenen populistischen Pointen: „Abschied vom Korsett – Abschied von der alten Zeit“.

Bei der Tonspur hat man auch wieder auf alle bekannten akustischen Quälgeister zurückgegriffen. Beim Eiffelturm hören wir das unvermeidliche Akkordeongedudel, und zu Bildern aus Japan ertönt, na was wohl, pling plang ploing. Der Off-Sprecher, dessen beinahe singende Stimme sich anhört wie Eddi Arent im Karl-May-Film, unterstreicht die betuliche Atmosphäre. Der homogenisierende Zugriff auf die – zugegebenermaßen beeindruckende – Fülle des Bildmaterials verwischt die historische Distanz. „Kaum 20 Jahre nach der Zeit der Pferdekutschen röhren die Motoren“. Das muß natürlich hörbar gemacht werden, und so erzeugt die matte Nachsynchronisierung eines Autorennens von 1920 (als es noch keinen Tonfilm gab) eine Stimmung wie bei „Väter der Klamotte“.

Obwohl Hintergründe und Zusammenhänge nicht völlig eingeebnet werden, ermüdet die vertonte Diashow rasch. Bild und Text neutralisieren sich gegenseitig. Die Fakten sprechen nicht, sie werden abgewickelt. Und wenn der Untergang der Titanic „das Vertrauen in die Berechenbarkeit des Fortschritts erschüttert“, so ist es das Vertrauen ins Fernsehen nicht minder. Manfred Riepe

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