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Des Kanzlers Nachbarn sollen gehen

Rund um den Berliner Reichstag wächst das Regierungsviertel. Neben den Baugruben ist ein Plattenbau aus der DDR übriggeblieben. Seine Bewohner wollen sich von „den Bonnern“ nicht vertreiben lassen  ■ Von Jens Rübsam

Als die Gläser anfangen im Schrank zu wandern, reicht es ihr. Es ist Montag morgen, Britt Schnell hat eben ihre Tochter zum Kindergarten gebracht, hat sich noch einmal hingelegt, sie ist krank geschrieben wegen spastischer Bronchitis. Dichter Staub hängt in der Luft, hinterm Haus wühlen sich riesige Maschinen in den Boden, Planierraupen dröhnen vorbei. Plötzlich wackelt der ganze Häuserblock wie bei einem Erdbeben. Jetzt reicht es, denkt Britt Schnell. Sie steigt wieder in ihre Kleider und geht zum Hauswart. „Nervlich ist das nicht durchzustehen“, sagt sie zu ihm. Noch vor Tagen hatte sie sich geschworen, auszuhalten bis zum Letzten. Wenn nötig, sich vor eine Baustellenzufahrt zu legen.

Jetzt aber, nachdem sie gesehen hat, wie Gläser im Schrank wandern können, gibt sie auf. Die Diplomingenieurin wird den Plattenbau in der Berliner Luisenstraße verlassen. Unfreiwillig und vermutlich für immer.

Am Berliner Spreebogen, wo das zukünftige Regierungsviertel der Hauptstadt aus dem Boden gestampft wird, wo Baukränen und Baggern das Terrain gehört, ist ein einzelner Plattenbau aus DDR- Zeiten übriggeblieben. Das Mietshaus steht in Traumlage, doch für seine Bewohner ist der Standort zum Alptraum geworden. Direkt hinter dem Gebäude wird der Luisenblock gebaut, wo die Bibliothek des Bundestages unterkommen soll und ein Tagungssaal für die Abgeordneten. Gleich neben dem Block wird ab Oktober der Versorgungstunnel gebaut, durch den Lieferanten und Besucher zum Reichstag fahren werden. Doch bis es soweit ist, werden die Bewohner der Luisenstraße 22 bis 25 wohl längst weg sein. Dabei haben sich bisher nur zwei Drittel der 162 Mietparteien zum Umzug entschlossen. Alle anderen wollen ausharren, auf keinen Fall weg von hier, nicht „den Bonnern“ weichen. 1990 wurde der Plattenneubau in der Luisenstraße im Bezirk Mitte für 20 Millionen Mark fertiggestellt. Damals, kurz nach der Wende, ahnte keiner der neuen Mieter, daß nebenan der Bundeskanzler einziehen würde. Und daß das ganze Gebiet neu bebaut werden sollte.

Axel Schultes und Charlotte Frank gewannen 1993 den Wettbewerb um das Parlaments- und Regierungsviertel – mit der Idee eines fast zwei Kilometer langen Gebäuderiegels nördlich vom Berliner Reichstag. Ein „Band des Bundes“ soll es werden, die Überquerung der Spree symbolisiert die Überwindung der Ost-West-Teilung. Doch von Verständigung haben die Anwohner am Ostrand der Neubauzone wenig mitgekriegt. Seit gut drei Jahren fragen sie sich, was aus ihnen wird, wenn vor ihren Fenstern die Regierungsbüros stehen werden. Wird ihr Neubaublock abgerissen? Wenn nicht, wohin sollen sie während der Bauzeit? Und zu welchen Konditionen erfolgt die Umsetzung? Längst schaufeln sich Bagger durch das Erdreich. Fahren Planierraupen Sandberge platt. Ziehen Staubwolken auf, die an der Fassade des Neubaublocks hängenbleiben. Der Spielplatz hinterm Haus ist verwaist. Unsere Kinder, sagen die Anwohner, können hier nicht mehr spielen.

Britt Schnell steht auf ihrem kleinen Balkon im fünften Stock, schaut auf die Bagger und die Planierraupen, im Dust dahinter liegt der Reichstag. Das sogenannte Parlament der Bäume, die Gedenkstätte für Maueropfer, ist längst verschwunden. Die Reste des Tattersaals, des kaiserlichen Pferdestalls, sind abgerissen. Auch das Autohaus ist weg. Mit dem Finger streicht Britt Schnell über den Fensterrahmen, bläst den Dreck dahin zurück, woher er hergekommen ist. Sie geht zurück in die Wohnung, der Lärm ist nicht auszuhalten. Und eigentlich ist es auch drinnen nicht auszuhalten. „Seit wir die Fenster nicht mehr aufmachen können, mufft es überall.“

1992 sind Britt und und ihr Mann Torsten Schnell in die Luisenstraße gezogen, von Ahrensfelde in den Bezirk Mitte, vom Stadtrand in beste Citylage. Die 4-Raum-Wohnung haben sie sich hübsch eingerichtet, die Miete war bezahlbar, rund 900 Mark warm. Lisa, die Tochter, ist hier geboren. Ringsum war alles grün, der Tiergarten war nicht weit, die Spree vor der Haustür, „alles ideal für einen Spaziergang mit dem Kinderwagen“. Jetzt ist der Tiergarten weit, „vor lauter Baustellen, weiß man nicht mehr, wie man da hinkommen soll“. Das alles wäre nicht so schlimm, sagt Britt Schnell, wäre man fair mit den Mietern umgegangen, anstatt „ständig was anderes zu erzählen“. Erst habe es geheißen, alle müßten ausziehen, wenn die Regierung kommt. Dann sei gesagt worden, der Block werde doch nicht abgerissen. Schließlich sei ihnen mitgeteilt worden, eine hohe Mauer werde hinterm Haus gezogen, man werde nichts mitkriegen von den Bauarbeiten. Und nun, im Juni, hat die Bundesbaugesellschaft Berlin (BBB) verlautbaren lassen, bis zum 1. Oktober solle das Haus entmietet sein. Für die Betroffenen werde ein Sozialplan erstellt. Drei Möglichkeiten stehen nun zur Wahl: endgültige Umsetzung, Zwischenumsetzung, oder wenn einer partout nicht ausziehen will, kann er auch während der Bauzeit bleiben, muß aber mit Lärm und Erschütterung leben.

Umsetzung ja oder nein? Wolfgang Weiß, 65, entfährt ein trotziges Lachen. Seit 1990 wohnt er in der Luisenstraße, er war einer der ersten, die hier einzogen.

Zwar hat die Bundestags-Baukommission immer wieder betont: Der Deutsche Bundestag hat seine Planungen darauf ausgerichtet, daß der Wohnblock stehenbleibt, die Fläche wird nicht für das Regierungsviertel gebraucht. Berlins Bausenator Klemann (CDU) aber hat unmißverständlich erklärt: „Die Schaffung einer endgültigen Zufahrt zum unterirdischen Erschließungstunnel ist untrennbar mit dem Abriß des Wohnblocks verknüpft.“ Daß die Abrißbirne kommt, befürchten inzwischen alle Mieter der Luisenstraße 22 bis 25. Zweifel gibt es daran, ob der Plattenbau die Wühlarbeiten rundum überhaupt aushalten wird. Schon jetzt sind Risse an den Wänden sichtbar, und der Tunnelbau steht noch bevor. Wenig Vertrauen hat man auch, was den Geschmack der neuen Nachbarn angeht. Wird die Platte von den Bonnern nicht insgeheim als Fremdkörper inmitten des Regierungsviertels angesehen?

Die Bonner. Wie dicker Staub hängt das Wort über dem kleinen Kinderspielplatz hinter der Platte, auf dem sich einmal in der Woche die Mieter treffen. Abends, wenn es ruhig ist, wenn man sich unterhalten kann. Wolfgang Weiß sitzt mit hochrotem Kopf auf der Bank, hält ein Schriftstück in der Hand, seine Hände zittern, laut liest er eine kleine Anfrage von PDS-Abgeordneten im Bundestag vor. Ihre Sorge um das Mietshaus sei unbegründet, hat man denen geantwortet, durch die Bundesbaugesellschaft würden „die Bauvorhaben des Deutschen Bundestages sozialverträglich und termingerecht erstellt“. Gelächter in der Runde.

Sozialverträglich? „Ich bin Rentner“, sagt Wolfgang Weiß, „schwerstbehindert, meine Frau hat noch Arbeit im Hotel. Was, wenn sie ihre Arbeit verliert?“ Wie solle er, wenn er wirklich wegziehen und anderswo womöglich eine höhere Miete zahlen müsse, das Geld aufbringen? In einer Mieterversammlung ist ihm erklärt worden: „Auch Sie sind verpflichtet, ein Opfer für den Regierungsumzug zu bringen.“ Man solle sich lieber fragen, meint Wolfgang Weiß, wofür der teure Regierungstunnel überhaupt gebraucht werde. „Ich bleibe hier. Ich ziehe nicht weg.“ Sagt er und starrt auf den Bretterzaun.

Ein Sozialplan wurde den Mietern angeboten, doch für viele kommt er zu spät. Nur drei Monate haben sie Zeit, ihren unfreiwilligen Umzug zu regeln. Wer alle Rückkehransprüche aufgibt, dem zahlt die BBB eine Abfindung von 150 Mark pro Quadratmeter Wohnfläche plus Umzugskosten. Mieter, die später einmal zurückkehren wollen, erhalten während der Bauzeit einen Mietkostenzuschuß von bis zu 13,50 Mark kalt. Ein „rundes Paket“, meint Dieter Kaczmarek von der Mieterberatungsgesellschaft AG Spas, die von der BBB mit der Durchführung des Sozialplans beauftragt wurde.

Die Luisensträßler wollen mehr. Was sei das Angebot schon im Vergleich zu den großzügigen Umzugspauschalen für die Bonner Parlamentarier, im Vergleich zu den Vergünstigungen und Abfindungen, die umzugsunwillige Beamte vom Rhein kassieren? Schließlich habe man auch, so geht das Gerücht, den Bewohnern des Weinhauses Huth am Potsdamer Platz jeweils bis zu einer halben Million gezahlt, nachdem die einen Baustopp erwirkt und dadurch für immense Kosten gesorgt hatten.

Britt Schnell ist bis vor kurzem keine einzige Ersatzwohnung angeboten worden. Vor wenigen Tagen endlich trudelte ein Angebot ein: eine Wohnung an der vielbefahrenen Kolonnenstraße in Berlin-Schöneberg. Britt Schnell will jetzt selber suchen, aber das kann dauern. Probleme mit der Zeitplanung räumt inzwischen auch der BBB-Beauftragte Dieter Kaczmarek ein. Erst diese Woche sei endgültig ermittelt worden, welche Mieter sich für welche Variante entschieden hätten. Erst jetzt könnten die Angebote unterbreitet werden – freilich wenige im Bezirk Mitte, sondern eher in Randbezirken. Und erst jetzt haben sich auch Bundesvermögensamt und Oberfinanzdirektion bereit erklärt, Wohnungen aus ihren Berliner Beständen zur Verfügung zu stellen – wenn die nicht von Bonner Beamten gebraucht werden.

Immer wieder die Bonner. Einmal noch, so haben es die Mieter aus der Luisenstraße diese Woche beschlossen, wollen sie es denen zeigen. Auf dem Spielplatz hinterm Haus entwerfen sie einen Plan für den 18. September. Wenn drüben im Reichstag Richtfest gefeiert wird, soll hier protestiert werden. Vielleicht mit einem Plakat an der Spreebrücke. Mit einem Bettlaken, das auf dem Dach hochgehalten wird. Mit einem aus vielen großen Buchstaben zusammengesetzten Wort, schön deutlich an der Fassade angebracht. Was draufstehen wird, ist noch nicht klar. „Es muß etwas mit Vertreibung sein“, sagt Wolfgang Weiß. Ob es irgend etwas nützen wird? So recht glaubt keiner an einen Erfolg der kleinen Revolte in der Luisenstraße. Die Reichstagsgäste werden vermutlich nicht mit den Nachbarn aus dem Osten diskutieren wollen, sondern sich lieber um Schnittchen und Sekt kümmern.

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