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Feuerwerk gegen Orff: unentschieden

■ Beim Classic Open Air auf der Galopprennbahn gab's viel zu Essen und auch ein wenig zu Hören

Für 75 Mark Eintritt gab's Regenmäntel dazu, für 45 Mark einen Stehplatz, der freilich schnell zum Sitzplatz auf dem wunden Rasen wurde. Und dort picknickten regelrechte Heerscharen ausführlichst – schon ab 18 Uhr. Vom Tisch bis zum einfachen Handtuch als Unterlage, vom englischen Geschirr bis zu Papptellern, vom hochstiligen Weißweinglas bis zu Plastikbechern, von Aldi-Salaten bis zu Grashoff-Spezialitäten, von selbstgemachtem Gegrillten bis zu einfachen Käsebroten, von Riesenfackeln bis zu kleinen Teelichtern, vom Abendkleid bis zu Shorts und Jeans, vom Bordeaux und Chardonnay bis zum Fusel im Literpaket: In schönster Eintracht und dicht nebeneinander breiteten sich Hunderte in der ihnen eigenen Weise aus. Stühle und große Matratzen wurden geschleppt, als wollte man sich für ein paar Tage einrichten.

„Ute hat hier auch ihr Pferd.“Und: „Ich hab schon mal gewonnen, man kriegt das ganze Geld so lose.“: Wir sind auf der Galopprennbahn und alle erwarten das Classic Open Air mit Carl Orffs inflationär gespielter „Carmina burana“– oder auch nicht, denn das Konzert diente eher als akustische Kulisse für anderes Labsal: Der tätowierte Dicke läßt seinen Schweiß in die kleinen Nackensteaks vom Holzkohlengrill tropfen. Sie kosten sieben Mark wie auch die drei Scampis. Es gibt aber auch noch die gute alte Bratwurst für vier Mark. Egal, die meisten hatten ihr Essen selbst dabei.

Mit der Thüringer Philharmonie hatte man eins der üblichen Billigorchester aus dem Osten verpflichtet, leider eins, das vor zwei Wochen aufgelöst wurde. Um das „herrliche Konzert“(Infozettel des Veranstalters) zu retten, opferte sich das „Prague Festival Orchestra“unter der Leitung von Hideaki Muto und „erwartet ein interessiertes und begeisterungsfähiges Publikum“. Hmhm. Die Orffschen Rhythmuseruptionen, die Grundlage des einzigartigen Siegeszuges dieses 1937 entstandenen Werkes, schleppten sich so hin, konnten auch die richtigen Konturen aufgrund einer miserablen Lautsprecheranlage gar nicht gewinnen. Die Stimmen der Solisten wurden ins Grölige verzerrt. Der Tenors, der statt des geforderten Falsetts so gestemmt und forciert aussang, als wolle er einen Gesangswettbewerb gewinnen, schrumpfte so zur Karikatur. Wer glaubte, das angekündigte „festliche Höhenfeuerwerk“– was bitte ist denn ein unfestliches Tiefenfeuerwerk? – würde nach Beendigung des Konzertes und der angemessenen Begeisterung abgefeuert, sah sich getäuscht. Das Feuerwerk begleitete den letzten Satz, und als der Tenor eine Zugabe versuchte, wurde er so erbarmungslos zugeknattert, daß er abbrach. Ebenso erging es der Sopranistin mit dem schüchternen Versuch einer zweiten Zugabe. Nun aber war wohl der Dirigent wild entschlossen, den ungleichen Kampf zu gewinnen und er entschied sich – erfolgreich – für die Wiederholung des ekstatisch lauten Eingangschores „O Fortuna“.

Wie wichtig Orff die Bedeutung des Wortes dieser gesellschafts- und kirchenkritischen Lieder in altdeutscher, lateinischer und altfranzösischer Sprache waren, blieb bei dieser konzertanten Aufführung ebenso auf der Strecke wie die eigentliche ästhetische Grundlage des Werkes, nämlich die szenische Einheit von Musik, Wort und Bewegung, es sei denn, das „Psalmodieren“des weinfrohen Abtes aus dem Schlaraffenland und die orgiastische Saufszene des Chores bringt man gutwillig mit dem Picknick zusammen. Alexander Borodins Polowetzer Tänze wurden kredenzt als „Vorprogramm“. Ebenso Modest Mussorgskis große und einzige Orchesterkomposition „Die Nacht auf dem kahlen Berge“– so ist das bei Open airs. Die zarte Subtilität dieses Werkes, präsentiert in seichten und schmuseligen Klängen, verwehte regelrecht im Abendwind. Unser Wirtschaftssenator hätte gerne, daß auf der Galopprennbahn auch was anderes los ist, so gerne, daß er letztes Jahr über alle Gremien hinweg Justus Frantz die berühmte und skandalöse Ausfallbürgschaft über 175.000 Mark versprach, in der irrigen Annahme, es handele sich um Kunst. Vielleicht hat dieses Jahr die Kasse gestimmt, gut besucht war's ja. Wenn man die Lautsprecher verbesserte und einige professionelle Gedanken über das richtige Repertoire vorausgehen ließe, wäre es sogar richtig schön auf der Rennbahn.

Ute Schalz-Laurenze

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