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Fast wie Weihnachten

■ Mit einer Seniorengruppe durch die exzellente Philippe Starck-Design-Ausstellung im Focke-Museum

Vermutlich ist Thomas Gottschalk an allem schuld. Seit durch seine Überzeugungsarbeit Haribo-Gummibärchen noch besser schmecken, weiß diese Gesellschaft die Rolle des klugen Vermittlers so richtig zu schätzen. Oder war es Richard Holbrooks schiedsrichternder Einsatz in Bosnien? Na egal. Jedenfalls werden wir immer seltener ganz unmittelbar auf ein Ereignis losgelassen, sondern lassen uns viel lieber an die Hand nehmen und leiten von klugen, interessanten und manchmal auch nur von wichtigen, dafür aber unklugen Menschen. Schriftsteller erklären uns zum Beispiel in der Zeitschrift „Art“ihr Lieblingsbild, Senatsmitglieder in dieser Zeitung ein Fußballspiel.

Da eh alles postmodern-standpunktabhängig-relativistisch zu sein scheint, bemüht man sich wenigstens, diesen subjektiven Brechungsfaktor so spannend wie möglich zu gestalten. Philippe Starck also, einer der Verkaufsgrößen der Designwelt, zeigt uns, was er vom Design der Zukunft erwartet. Ein starcker Brechungsfaktor, ein Glücksgriff: Einer, der den Versprechungen der Oberfläche längst nicht mehr blind vertraut, der nächstes Jahr aufhören will mit der Beschleunigung der Konsummaschinerie, inszeniert seine – unser aller – Schwankendheit zwischen Faszination und Mißtrauen gegenüber dem schönen Schein.

Und weil jede weitere Vermittlungsinstanz den angepeilten Gegenstand nicht nur entfernt, sondern auch bereichert und auflädt, sind Ausstellungsführungen höchst beliebt. So kommt es also, daß die taz beobachtet, wie ein Dutzend Senioren beobachten, wie der Kunstwissenschaftler Detlef Stein beobachtet, wie Philippe Starck das zeitgenössische Design betrachtet. „Ich sehe, wie ich sehe wie ich sehe, und so weiter“, hieß es einmal leidgeplagt in Valerys „Monsieur Teste“. Heute längst kein Grund zur Trauer mehr: Auch Starck setzt ja schließlich auf einen Erkenntniszugewinn durch Wegrücken und versteckt die Designobjekte seiner wertgeschätzten Kollegen hinter Türen. Und wer um viele Ecken sieht, muß irgendwann mal wieder direkt bei der Sache selbst gelangen.

Wie also bringt Führer Stein aufblasbare Bilderrahmen und in Tüllröcken versteckte Glühbirnen Menschen nahe, die ihre Sozialisierung in nüchternen Nachkriegszeiten abbekamen? Sehr trickreich: Er verankert das Gesehene in einem bürgerlichen, aufgeschlossenen Bildungshorizont, der von Botticelli über Böll bis zu Medientheoretiker Vilem Flusser reicht. „Sie waren sicher schon in den Uffizien, haben dort Botticellis Geburt der Venus gesehen...“und schon glimmt aus dem Fremden Vertrautes entgegen. Die Frage nach dem Verhältnis von Form und Funktion behandelt er nicht aus dem Kurzzeitgedächtnis mit Sullivans „Form follows function“oder Adolf Loos „Ornament als Verbrechen“. Vielmehr entsinnt er sich so wunderbarer Alternativen wie Kants Definition des interesselosen Wohlgefallens, – und stößt damit mitten ins Herz von Starcks Überlegungen zum Nutzen und Fluch modernen Designs. Design, so Starck, darf heute eben nicht mehr interesselos sein, sondern ist nur dann legitim, wenn es d'accord geht mit ökologischem und sozialverantwortli-chen Denken.

Doch oft sind die Synthesen, die Starck anbietet, nur scheinbar gelungen: Die aufblasbaren Gummibilderrahmen von Nick Crosby sind zwar billig, aber überflüssig. (Dafür saulustig!)

Der Papierkorb aus Altpapier von Jos van der Meulen ist zwar genial, was sein Konzept anbelangt, in seiner Lebensdauer aber sicher begrenzt. Und wie ökologisch Nils Hvaas Sessel aus geleimten Altpapier wirklich ist, wäre eine Frage wert.

Egal: witzige Lösungen sind zu sehen, - und sie verstecken sich schüchtern hinter Umkleidekabinen. Der Betrachter muß Voyeur spielen und Türen öffnen. Denn das Tor zu einem zeitgemäßen Design steht nicht angelweit offen. Die Senioren freut's. „Das ist wie Weihnachten. Das Türenöffnen ist fast so spannend wie das Geschenkeauspacken.“Je nach Ausprägung der Neugier sind drei verschiedene Varianten des Türöffnungsverhaltens zu unterscheiden. Die einen begnügen sich damit, was Führer Stein zeigt, die anderen testen nach dem Lotto-Zufallsprinzip weitere Türen und begutachten interessiert das Ergebnis ihres Zugriffs. Und ein Senior öffnet so viele Türen wie nur irgend geht, um sie gleich wieder zu schließen, offenbar vollauf damit zufrieden, auf kein Ungeheuer gestoßen zu sei.

Aber was halten die Senioren von zeitgenössischem Design? Ein Nudelholz mit Stierhorngriffen „ist sehr, sehr schön. Wenn es funktioniert, dann macht es sicher viel Spaß beim Backen. Eigentlich seltsam, daß man viele Generationen lang immer nur ein und dasselbe Nudelholz verwendet hat.“Das Neuartige schärft den Blick für das Gewohnte.

Einer der Senioren allerdings hätte sich Design im Museum irgendwie wagemutiger vorgestellt. „Da ist gar nicht so viel grundsätzlich Neues, viele ganz normale Stühle, Lampen.“Aber an wirklichen Fortschritt glauben heute – leider – sowieso nur noch die Alten. Oder: „Fortschritt ist Romantik“, wie ein bekehrter Philippe Starck meint. bk

„Philippe Starck – Design mit Zukunft“, bis 28. September im Focke-Museum

(weitere Sonderveranstaltungen: 30.8. Tanzperformance, 3.9. Führung durch einen Münchner Designer, 12.9. Vortrag, u.a.)

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