: „Sie wußte alles besser“
Die Polizistin Stefanie L. verübte Selbstmord. Wurde sie von den Kollegen zu Tode gemobbt? ■ Aus Berlin Plutonia Plarre
Zuckendes Blaulicht tauchte die Szenerie in ein gespenstisches Licht, als zehn Beamte des Berliner Sondereinsatzkommandos (SEK) gegen ein Uhr morgens in ein Wohnhaus im Bezirk Wedding stürmten. Der Einsatz ließ an eine bewaffnete Geiselnahme oder Ähnliches denken.
Tatsächlich galt er der 24jährigen Polizistin Stefanie L., die im dritten Stock ihrer Einzimmerwohnung ahnungslos schlief. Als ihre Wohnungstür krachend eingetreten wurde, dachte die junge Frau zuerst an einen Überfall. Zu ihrer Überraschung erfuhr sie jedoch, daß sie in die Psychiatrie gebracht werden sollte. Die Beamten gaben an, sie sei paranoid, es bestehe Selbstmordgefahr. Die diensthabende Ärztin der Nervenheilanstalt jedoch lehnte die Einweisung nach einer Untersuchung ab, und schickte die junge Frau wieder nach Hause.
Der Vorfall ereignete sich am 9. April diesen Jahres. Am 20. Juli erschoß sich Stefanie L. im Haus ihrer Eltern in Straubing bei München mit der Sportpistole ihres Vaters. Kurz vor ihrem Tode hatte sie eine Strafanzeige gegen drei frühere Kollegen wegen des Überfalls in ihrer Wohnung und des Transports in die Psychiatrie erstattet und ihre Erlebnisse mit ihren Kollegen niedergeschrieben.
Die Familie gibt der Polizei die Schuld für den Tod: „Man hat meine Tochter systematisch fertiggemacht. Die haben sie in den Tod getrieben“, sagt ihr Vater Albert L., ein pensionierter Bundeswehroffizier, der Süddeutschen Zeitung. Die Polizeiführung weist den Vorwurf weit von sich und spricht von einem „tragischen Einzelfall“. Auf Antrag der Berliner Bündnisgrünen sollte der Fall gestern im Parlamentarischen Innenausschuß behandelt werden, wurde jedoch vertagt.
Polizeipräsident Hagen Saberschinsky bekräftigte gestern gegenüber der taz abermals, daß es im Fall der Polizistin kein Mobbing gegeben habe. Die junge Frau habe vielmehr ein „tragisches Schicksal zu tragen gehabt“, sie sei „verhaltensaufällig“ gewesen. Mehr dürfe er dazu nicht sagen. Im Klartext: Stefanie L. soll psychisch krank gewesen sein.
Fakt ist: Die junge Polizistin war in ihrer Dienststelle unbeliebt. Sie galt als überkorrekt. Sie zeigte zum Beispiel zwei Kollegen an, als diese eine Einsatzübersicht fälschten, um in Ruhe Karten spielen zu können. Die Beschuldigten wurden daraufhin strafversetzt.
„Sie wußte immer alles besser“, tuscheln ehemalige Kollegen. In der Strafanzeige wegen des SEK- Einsatzes hatte die 24jährige niedergelegt, daß ihr ihre Kollegen angedroht hätten, ihr „die Beine wegzuhauen“. Aufgrund fortdauernder Schikanen meldete sich die 24jährige Anfang April schließlich krank. Am Tag bevor sie ihre Arbeit wieder aufnehmen wollte, versuchte sie mit Olaf K., ihrem Vorgesetzten, in dessen Privatwohnung ein klärendes Gespräch über ihre weitere Arbeit zu führen. Doch der schickte sie weg.
Wenige Stunden später kam es zu dem SEK-Einsatz in ihrer Wohnung. Der Aufmarsch war von Olaf K. angeordnet worden. Nachdem die junge Polizistin aus der Nervenanstalt wieder nach Hause geschickt worden war, bekam sie Besuch von einer Polizeipsychologin und einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes. Die beiden hätten versucht, sie als geisteskrank hinzustellen und sie zur Aufgabe des Dienstes zu bewegen, hatte Stefanie L. in ihrer Strafanzeige formuliert.
Die junge Polizistin war fortan krank geschrieben. Nach ihrem Tod stürzte sich vor allem eine Berliner Boulevardzeitung auf das Thema Mobbing bei der Polizei. Der Polizeipräsident sah sich deshalb genötigt, eine Mobbingkommission einzuberufen, in der leitende Polizeibeamte sitzen. Die einzige Frau kommt aus der Innenbehörde. Für Insider der Polizei ist indes klar, daß die Polizei mit dieser Kommission lediglich unter Beweis stellen will, daß es kein Mobbing gibt. Das Gegenteil ist der Fall.
Allein beim CDU-Polizeiarbeitskreis meldeten sich in letzter Zeit 20 bis 30 betroffene Polizisten, von denen aber nur einige ihre Namen nannten. „Immer heißt es, es sind nur Einzelfälle“, kritisierte eine Beamtin die Haltung der Polizeiführung. Mobbing gäbe es in jedem größeren Betrieb.
Der Unterschied bei der Polizei sei jedoch, daß man dort die Opfer zu Tätern mache, wenn das Problem offen zutage trete. Nicht die Täter, sondern die Opfer würden in andere Dienststellen versetzt. Dort gehe das Mobbing weiter, solange bis die Betroffenen psychisch so zermürbt seien, daß man sie als krank abstempeln und dienstunfähig schreiben könne.
Die Eltern von Stefanie L. sagen, ihre Tochter sei nie psychisch krank gewesen. Kurz vor ihrem Tod habe sie noch Fallschirmspringen gelernt. Und für ihre Berliner Nachbarn steht fest: „Erst nach dem Sturm ihrer Wohnung hat sie einen Knacks weggehabt.“
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