Regierung auf Abruf

■ Kohl hat das Revirement nur aufgeschoben

Von zwei schlechten Möglichkeiten hat Helmut Kohl die schlechtere gewählt. Er beläßt das Kabinett vorerst, wie es ist, und hält damit die Glut, die die Personaldebatte entfachte, am Glimmen. Was das bedeutet, wird Theo Waigel Anfang September zu spüren bekommen, wenn er den Haushalt 98 in den Bundestag einbringt und von der Opposition der Amtsmüdigkeit geziehen wird. Was das bedeutet, wird Manfred Kanther und all den anderen Austauschkandidaten in den nächsten Wochen in den Ohren klingeln. Deren Halbwertszeit wird nunmehr Gegenstand parteiinterner und öffentlicher Erörterungen sein. Der Kanzler hat sich, wie er selbst bekundet, über die Diskussion der letzten Tage mächtig geärgert. Der Ärger wird weitergehen. Dafür wird schon Theo Waigel sorgen, der so lauthals, wie Kohl eine Kabinettsumbildung ablehnt, ebendiese verlangt. Es ist alles nur noch eine Frage des Zeitpunktes. Und der ist, wie CSU- Landesgruppenchef Glos bereits festlegte, spätestens mit dem Ausscheiden des Postministers Bötsch gegeben.

Bis dahin muß Kohl für das Personalproblem Waigel eine Lösung gefunden haben, oder es löst sich womöglich auf eine für den CSU-Vorsitzenden unangenehme Weise. Der will eine Regierungsmannschaft haben, die erstens über 98 hinaus spielt, zweitens deutliche CSU-Anteile hat und ihn drittens für die Position des Außenministers vorsieht. Ein hochgestecktes Ziel. Und bislang hat sich Waigel noch jeden sich bietenden Stein in den Weg gelegt. Spätestens der Parteitag im November wird Aufschluß darüber geben, ob die CSU ihrem Vorsitzenden solch stümperhaftes Vorgehen nachsieht. Bestimmt nicht, wenn es nicht von erkennbarem Erfolg gekrönt ist.

Doch es ist fraglich, ob Kohl im Spätherbst schafft, was ihm jetzt nicht gelungen ist. Der hartnäckige Widerstand der FDP gegen einen Austausch ihrer Minister wird auch im Dezember nicht geringer sein. Zudem erhöhen Begehrlichkeiten der CSU auf das Auswärtige Amt eher den Marktwert des Amtsinhabers. Das war bei Strauß und Genscher so, das dürfte bei Waigel und Kinkel nicht anders sein. Die FDP lebt nach der bewährten Kohlschen Devise des „Weiter so!“. Und damit lebt sie ganz gut, steht sie doch neben den beiden blind agierenden Regierungspartnern noch immer wie eine Einäugige da. Dieter Rulff