: Vom Bär zum Millionär
William Kotzwinkle bietet alles auf, was Aufklärung lustig macht. „Ein Bär will nach oben“ ist eine Satire auf den Literaturbetrieb ■ Von Anke Westphal
Eine Literaten häufig gestellte, ziemlich dümmliche Frage lautet: „Warum schreiben Sie?“ Sie spielt auch eine wichtige Rolle im neuen Buch des amerikanischen „Althippies“ William Kotzwinkle. Der ist inzwischen so sehr Erfolgsautor („E.T.“, „Fan Man“), daß er die berüchtigte Frage wohl öfter als genug beantwortet haben dürfte. Vielleicht ist „Ein Bär will nach oben“ – die Geschichte eines Bären, der zum Literatur- und Medienstar wird – seine Rache für diese und alle anderen Qualen eines Dichterlebens.
Wenn es gerecht zuginge auf der Welt, wäre nicht der Bär, sondern Arthur Bramhill, Literaturprofessor an der University of Maine, der Held von Kotzwinkles neuem Buch. Bramhill hat einen außerordentlichen Roman verfaßt, „Schicksal und Sehnsucht“. Leider geht er bei einem Hausbrand in Flammen auf. Also muß Bramhill sein Werk noch einmal und – Schicksal läutert und verfeinert – viel besser schreiben. Dieses Mal deponiert er das Manuskript zur Sicherheit unter einem Baum im Wald. Dort findet es ein Bär und findet es literarisch wertvoll: „Es hat viel Sex, und auch das Fischefangen kommt nicht zu kurz.“
Er versteht es, als Mensch zu gelten
Zwecks Satire muß der Bär vollständig „Person“ werden – mit eigener Geschichte und eigenem Namen. Zu diesem Zweck läßt er sich im Supermarkt inspirieren: „Half- and-Half Jam“ heißt seine Lieblingsmarmelade – also nennt er sich fortan Hal Jam. Er kommt in die große Stadt, trägt jetzt einen Anzug und klopft bei den Verlagen an. Er weiß, was es braucht, als Mensch zu gelten, selbst wenn er in Wahrheit keiner ist.
Professor Bramhill und Hal Jam firmieren nicht etwa nur als Hauptfiguren eines Romans, sondern auch als Paradigmen, mit denen Kotzwinkle die Tauglichkeit zweier Zuschreibungen als Gegensatzpaar testet. Einerseits Bramhill, „theoretisch: aufgeklärt, doch praktisch: depressiv“ – andererseits der Bär, „pragmatisch: gegenwärtig glücklich“. Autor Kotzwinkle wechselt mit seinen Paradigmen immer wieder die Erzählperspektive. Mal fühlt der Leser wie ein Bär, der Mensch spielt, mal wie ein Mensch, der zum Bären wird.
Eigentlich, so suggeriert das Buch, wäre es schnurzegal, welche Rolle man im Leben spielt, wenn es nicht solche graduellen Unterschiede in den Annehmlichkeiten geben würde, die zu jeder Rolle gehören – oder auch nicht. Hal Jam zum Beispiel fürchtet seine Enttarnung als Bär, wäre doch der Verlust von Sonnenbrille und gut sortiertem Honigkeller damit verbunden. Je schweigsamer er sich gibt, je kryptischer seine wenigen Bemerkungen, für desto genialer und tiefsinniger wird er in den Halbbildungszirkeln von New York oder Washington gehalten.
Bär und Professor bilden als umgekehrt reziprokes Paar ein Gleichnis. Je vollkommener Hal Jam die Menschen um sich herum imitiert, desto stärker verwandelt sich der um seinen Ruhm gebrachte Arthur Bramhall tatsächlich in einen Bären. Erst paßt ihm nur der alte Anzug nicht mehr, dann wächst ihm ein Bärenfell. Und weil nur die Kleider den Kaiser machen, glaubt ihm am Ende kein Mensch mehr irgend etwas, schon gar nicht seine wahre Geschichte. Doch was muß William Kotzwinkle für ein Romantiker sein: Arthur Bramhall versinkt erst dann im schnuffelnden Primatenglück, als er allen Ehrgeiz fahren läßt – inklusive den, jemals Gerechtigkeit für den Diebstahl seines Manuskripts zu erfahren.
Der Rest ist eine Frage des richtigen Anzugs
Bärenmarke und Bärenmacke, Scherz, Satire, Ironie und ein bißchen tiefere Bedeutung – Kotzwinkle bietet alles auf, was Aufklärung lustig macht. Natürlich erkennt die Zivilisation in seinem Buch weder ihre eigenen Auswüchse noch die Natur, denn was ist schon Natur – nichts weiter als eine Seifenoper. Kotzwinkle überträgt seinem Hal Jam eine hohe Mission. Der Bär soll Zeugnis ablegen für die Richtigkeit folgender These: Die bloße Behauptung einer Identität genügt als ihr Beweis. Beliebtheit ergibt sich daraus, „die Leute nicht mit komplizierten Ideen zu bedrohen“. Der Rest ist eine Frage des richtigen Anzugs.
Didaktik oder nur Zynismus? Manchmal fürchtet man selbst um Kotzwinkles lustigen Bären-Einfall, am meisten wenn er sich in Vorhersehbarkeit erschöpft. Klar, Hal Jam ist auch ein erstklassiger Tanzbär und besteht elegant auf den Tanzböden Manhattans. Hal Jam, das Geschöpf des Waldes, ist natürlich ein tierisch guter Liebhaber. Doch daß die Literatur ein Geschäft ist, weiß man schon; wie man es auch geahnt hat, daß Agenten die Bücher der Autoren, die sie betreuen, sowieso nicht lesen. So wenig originell wie Kotzwinkles Kritik am literarischen und – mit Titeln wie „qualifizierbare Qualifikanten“ – akademischen Betrieb ist die am amerikanischen Traum.
So überrascht es nicht, daß Hal Jam auf seinem Weg nach oben alle denkbaren pervertierten Ikonen des modernen Amerika passiert: den Glauben in Gestalt eines grottendummen, reaktionären Reverends, dessen Fernsehsendung „Beten und Einkaufen“ heißt; die Freiheit in Form des marktwirtschaftlichen (Geistes-)Diebstahls; Justitia respektive Anwälte und Richter. Die Kriminalität schließlich hat ihren Auftritt als schwerbewaffnete Kindergang aus Harlem. Hal Jam wird durch Talkshows, Morgenmagazine und das Weiße Haus gereicht, immer eine Tüte Käseflips in der Tasche – der Werbevertrag ist schon aufgesetzt.
Dummheit, soviel steht nach der Lektüre von „Ein Bär will nach oben“ fest, gehört jedenfalls immer noch bestraft, weswegen sich die schönste Passage des Buches so liest: „Ich mag Ihr Buch sehr... Es ist so romantisch. Haben Sie sich das alles ausgedacht?“
William Kotzwinkle: „Ein Bär will nach oben“. Aus dem Amerikanischen von Hans Pfitzinger. Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 1997, 276 Seiten, 36 DM
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