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Krenz kämpft weiter

■ Krenz und Kleiber legen Revision beim BGH ein. Aussichten sind ungewiß

Freiburg (taz) – Der Politbüroprozeß geht weiter. Gestern hat nicht nur der ehemalige DDR- Staats- und Parteichef Egon Krenz, sondern auch Günther Kleiber Revision gegen die Verurteilung wegen der Mauertoten eingelegt. Während der Bundesgerichtshof (BGH) für Krenz nur „Durchgangsstation“ auf dem Weg zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und zu den Straßburger Menschenrechtsinstitutionen ist, setzt Kleiber seine Hoffnungen ganz auf den BGH, das höchste deutsche Strafgericht.

Damit setzt sich die unterschiedliche Verteidigungsstrategie der Politbüromitglieder fort. Während Krenz sich als Opfer der westdeutschen „Siegerjustiz“ präsentierte, erkennt Kleiber das Bedürfnis nach einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung von DDR-Menschenrechtsverletzungen an. Sein Anwalt Manfred Studier betont jedoch: „Die Begründung des Urteils ist sehr wackelig.“ Konkret geht es darum, worin eigentlich die „Tat“ der Politbüromitglieder zu sehen ist. Einen ausdrücklichen „Schießbefehl“, wie beim Prozeß gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates (NVR), konnte auch das Berliner Landgericht nicht präsentieren. Es mußte die Verurteilung daher auf die allgemeine Zustimmung der Angeklagten zur „Sicherung der Grenze“ stützen. Auch der Verteidiger von Günter Schabowski, Ferdinand von Schirach, hält das für „zu dünn und damit fehlerhaft“. Noch hat aber Schabowski nicht entschieden, ob er Revision einlegen wird. Krenz dagegen rechnet fest mit einer Bestätigung der Urteile durch den BGH. Im Hinblick auf Krenz' Hauptargument, daß man nicht nachträglich BRD- Recht auf DDR-Sachverhalte anlegen könne, wird sich wohl nichts mehr bewegen. Das BVerfG hatte im November 1996 dieser Sichtweise eine Abfuhr erteilt. Der Verfassungsgrundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ konnte deshalb für die NVR-Mitglieder um Ex-Verteidigungsminister Heinz Keßler durchbrochen werden. Diese Position hat das BVerfG erst kürzlich bestätigt, als es Beschwerden der DDR-Grenztruppenkommandeure ablehnte.

Krenz hofft daher auf die Menschenrechtsinstitutionen des Europarats in Straßburg. Dort sind Beschwerden der verurteilten NVR- Mitglieder anhängig. Wenn die „Europäische Kommission für Menschenrechte“ nach rund dreijähriger Vorprüfung zum Schluß kommt, daß die Beschwerden zulässig sind, fällt nach einem weiteren Jahr der „Europäische Gerichtshof für Menschenrechte“ sein Urteil. Haftverschonung bringen die Beschwerden beim Verfassungsgericht und in Straßburg nicht. Wenn der BGH sein Urteil gesprochen hat, sind die Strafen rechtskräftig. Krenz sitzt bereits seit Montag in Untersuchungshaft. Christian Rath

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