: Auch Plastik will geträumt sein
■ Superhits und Big Business: Bocksch beerbt Schwenkow und wird am Schiller Theater künftig das tun, was dort schon sein Vorgänger machte: was er will
Die Stadt Berlin war nie besonders nett zu Wolfgang Bocksch. Weder wollte man ihm die Freie Volksbühne für seine Musicals überlassen noch – bisher – das Schiller Theater: In beiden Fällen wurden Mitbewerber vorgezogen. Doch Bocksch hat Geduld gezeigt, abgewartet und sich sogar darauf eingelassen, mit seinem Konkurrenten Peter Schwenkow einen teuren Untermietvertrag für das Schiller Theater abzuschließen. Das zahlt sich jetzt aus. Am 1. Oktober darf der Musicalproduzent endlich sein eigenes Haus beziehen. Für 50.000 Mark übernimmt er Schwenkows Anteile an der Schiller Theater Betriebs GmbH.
Der Pächterwechsel beendet ein kulturpolitisches Possenspiel ersten Ranges. Hauptakteur in diesem Spiel war der Unternehmer Peter Schwenkow. Der hatte vor drei Jahren das Schiller Theater zugesprochen bekommen, obwohl Mitbewerber Bocksch damals weitaus mehr Geld in das Gebäude stecken wollte. Klüngelei zwischen Senator Roloff-Momin und dem CDU-Mitglied Schwenkow, vermuten viele.
Der Vertrag erlaubte es Schwenkow, die Jahresmiete von 408.000 Mark gewaltig zu drücken: Der Senat wollte bei jährlichen Investitionen ins Haus in der Höhe einer halben Million Mark den Pachtzins um 200.000 Mark kürzen, außerdem durfte Schwenkow vom „Theatertreffen“ die gleiche Summe als Miete verlangen. Unterm Strich blieb so eine Jahresmiete von 8.000 Mark. Eigentlich noch kein Skandal, hätte Schwenkow wirklich investiert. Aber er kam seinen Verpflichtungen nicht nach, überwies nur die Minimiete pünktlich. Anfang dieses Jahres wurde es dann selbst der gutmütigen Senatsverwaltung zu bunt. Der Unternehmer wurde zu einem „längeren Gespräch“ zitiert und mußte nachzahlen. Möglicherweise hatte Schwenkow daraufhin keine Lust mehr auf das Schiller Theater. Zumindest gab er bekannt, mit der Spielstätte sei kein Geld zu verdienen und außerdem wolle er nicht länger den Buhmann für die Öffentlichkeit abgeben. Schwenkow verkaufte.
Wolfgang Bocksch seinerseits servierte diese Woche Schampus und erzählte, was er alles vorhabe mit dem Schiller Theater. Am bestehenden Vertrag solle nicht gerüttelt werden, die Investitionen würden in voller Höhe erfolgen. Konkrete Pläne gibt es allerdings nicht, nur die Idee, den Zuschauerraum im nächsten Jahr von 1.100 auf 1.300 Plätze zu vergrößern.
Vollkommen vergessen sind die inhaltlichen Vorgaben, die Schwenkow einst gemacht wurden: Er sollte „Historicals“ spielen, Musicals mit Berlin-Bezug. Von seiten des Theaters wird behauptet, davon sei im Vertrag überhaupt keine Rede. Der Senat dagegen spricht von „Auslegungssache“, hält aber still: weil den Kulturpolitikern sehr daran gelegen ist, daß die teure Immobilie an der Bismarckstraße nicht leer steht. Außerdem finanziert der jeweilige Mieter die Betriebskosten für die Schiller-Werkstätten mit, in denen Grips und carrousel-Theater spielen – Gelder, die der Senat sonst bezahlen müßte.
Bocksch wird in seinem Haus in den nächsten Jahren sogenannte „Broadway-Superhits“ spielen: Er plant eine Mischung aus Klassikern wie der „West Side Story“ und frischen Knallern aus New York. Die Musicals sollen in Berlin produziert werden und dann durch das Netzwerk der anderen Theater geschickt werden, die Bocksch ebenfalls bespielt: nach Zürich, Wien und Basel. Bocksch mausert sich zum Hansdampf auf allen Musicalbühnen und ist zufrieden: „Mit dem Schiller Theater habe ich mir einen Traum erfüllt.“
Das Haus wird damit zur beliebigen Abspielbude und Produktionsmaschine für den Bocksch- Trust. Das kann man beklagen, vor allem, wenn man sich vom Schiller- Schock noch nicht erholt hat: Als das ehemalige Renommiertheater 1993 in die gerade anlaufende Sparmühle geriet und geschlossen wurde, heulte die Kulturwelt tief getroffen auf.
Doch Bocksch und seine Plastik-träume könnten ein guter Anlaß sein, die Trauerarbeit zu beenden: Das Symbol ist lange genug ausgehöhlt worden. Zeit, daß es endlich zusammenfällt. Denn das Gejammer um den Verlust sogenannter „traditioneller Spielstätten“ – zwei weitere Tränenpaläste sind die leerstehende Freie Volksbühne und das kaputtprivatisierte Metropol-Theater – ist wohlfeil, führt aber zu nichts. Der Musicalproduzent Bocksch nämlich wird in seinem Theater genau das tun, was sein Vorgänger Schwenkow dort knappe drei Jahre gemacht hat: was er will.
Vielleicht ist der Fall Schiller Theater den Berliner Kulturpolitikern eine Lehre: sich endlich die eigene Machtlosigkeit einzugestehen und ein paar Illusionen über Bord zu werfen. Zum Beispiel die Idee, daß man mit Ausstiegsklauseln und Mietgeschenken auf die Kommerzkulturszene besonders großen Einfluß nehmen könnte. Da geht es nämlich nicht um Pachtdifferenzen von 200.000 oder 400.000 Mark, sondern um Produktionskosten in Millionenhöhe: Big Business. Und Geschäfte in dieser Größenordnung machen die Herren Schwenkow, Bocksch und Konsorten lieber unter sich aus. Kolja Mensing
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