: Die Revolution war auch spaßig
■ „Tupamaros“ erzählt die bewegte Geschichte vom Vorbild aller Stadtguerillas
Das alte Ehepaar sitzt zusammen und erinnert sich an vergangene Zeiten. „Haben wir jemals an einer Aktion zusammen teilgenommen?“ – „Nur der Autoklau damals.“ – „Ach ja!“ Damals, das war Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Lucia Topolansky und Pepe Mujica gehörten zu den Gründungsmitgliedern der MLN- Tupamaros, der legendären Widerstandsbewegung in Uruguay, die Vorbild für alle europäischen Stadtguerillas werden sollte. Kaum eine revolutionäre Bewegung der Neuzeit hatte soviel Rückhalt in der Bevölkerung. Die teilweise phantasievollen Aktionen, bei denen nur selten Blut floß, und Entführungen wie die des US-amerikanischen Folterspezialisten Dan Mitrione 1970, die Costa-Gavras nur zwei Jahre später zum Vorbild für den Film „Der unsichtbare Aufstand“ nahm, sorgten für ein so sagenumwobenes Image in der Alten Welt, daß der inzwischen verstorbene Tupamaros-Gründer Raul Sendic 1988 in einem taz-Interview feststellte, die Journaille habe wohl „oft auch übertrieben. Wir haben zwar gegen niemanden gewonnen, doch wir haben irgendwie den Ruf der Gewinner.“
Der Gewinn ohne Sieg geht inzwischen so weit, daß die MLN als Mitglied eines großen Linksbündnisses Wahlen gewinnt und in diversen Gemeinden mitregiert. Mujica ist einer der Überlebenden, die Rainer Hoffmann und Heidi Specogna in ihrem Film zu Wort kommen lassen. Der ehemalige Revolutionär lebt heute von der Blumenzucht und fühlt sich sichtlich unwohl in seiner neuen Rolle. Seit Anbeginn weigert er sich, eine Krawatte zu tragen. „Wir machen keine Abstriche von unseren Ideen“, sagen sie heute, „aber wir müssen uns darum kümmern, daß die Menschen satt werden, sonst bleiben wir nicht glaubhaft.“ Auch wenn die Militärjunta 1985 mehr oder weniger freiwillig zurücktrat, hatten die Tupamaros, die dann nach 13 Jahren aus dem Knast kamen, das Problem aller erfolgreichen Revolutionäre: Wie macht man Politik in einer zivilen Gesellschaft, wenn man nur gelernt hat, Politik mit Gewalt zu machen? Selbst der Herr Abgeordnete, der nun einen Diplomatenpaß mit sich trägt, denkt wehmütig an früher: „Ich bin wie ein Soldat, den man hierher geschickt hat“, sagt Mujica, „das ist wie ein Auswärtsspiel für mich.“
Diese Verunsicherung zieht sich, auch noch mehr als zehn Jahre nach dem Ende der Junta, durch die ganze Organisation. „Paradoxerweise regieren wir jetzt die Orte, die wir früher überfallen haben“, wundert sich Nato Huidobro, der gerade mal 20 Jahre alt war, als er damals im Knast verschwand, „wir laufen Gefahr, demnächst ganz Uruguay zu regieren.“ Auch hier taucht sie auf, diese wundervolle Selbstironie, die Ex- Terroristen hierzulande zumeist abgeht. Während z.B. Inge Viett in ihrer Biographie selbstbesoffen weiterhin von vergangenen Heldentagen schwärmt, haben sich die Tupamaros verändert, aber sind sich gerade dadurch treu geblieben. Einmal stehen zwei alte Kämpfer vor dem schweizerischen Schützenverein und erzählen von dem Überfall, mit dem 1963 alles begann. Doch die erbeuteten Waffen waren unbrauchbar, da entscheidende Teile weggeschlossen waren, und außerdem fiel die geplante Landbesetzung sowieso ins Wasser, weil sich der Lieferwagen überschlug. Sie müssen selbst schmunzeln über so viel Dilettantismus. Später besichtigen sie das Einkaufszentrum, das einmal der Knast war, in dem sie einsaßen, und gucken ein wenig ungläubig in die Runde. 106 Genossen konnten 1971 in einer spektakulären Aktion durch einen selbstgegrabenen Tunnel fliehen: „Wir standen im Guiness-Buch für Weltrekord in Massenflucht“, schmunzeln sie stolz.
Zwei Frauen erzählen von den Schönheitsoperationen, die den Kämpfern und Kämpferinnen verordnet wurden, damit sie besser getarnt waren: „Irgendwann hatten wir alle die gleiche Nase.“ Daß der Kampf in Lateinamerika auch ein grausamer war, macht einem „Tupamaros“ vielleicht zu selten klar. Nur manchmal sprechen die Protagonisten über die mehr als zehn Jahre währende Haft, von der kaum einer verschont geblieben ist, über Folter und Isolation. Dafür macht die Diskrepanz zum ansonsten recht spaßigen Revoluzzerleben diese Aussagen um so eindringlicher. Die Köpfe sprechen weiter, die Geschichtslektionen mit grobkörnigem Schwarzweiß-Material sind zu kurz, aber schlußendlich ist „Tupamaros“ nicht in erster Linie ein Film über die Geschichte der Bewegung, sondern über Menschen in Bewegung.
Es sind keine historischen Holzschnitte, sondern Porträts von Menschen, die – auch wenn man ihre Ideologie nicht teilen möchte – vormachen, wie man in Würde älter werden kann, ohne seine Ideale zu opfern. „Wir haben viele Fehler gemacht, weil wir viel gelebt haben“, sagt Mujica, und in diesem Satz steckt eben auch der schöne Gedanke, daß Revolution voller Leben sein muß. Thomas Winkler
„Tupamaros“. Von Rainer Hoffmann und Heidi Specogna. BRD/ Schweiz 1996
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen