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Tage der Einkehr in Bethlehem

Einen Monat haben israelische Soldaten die palästinensische Stadt von der Außenwelt abgeriegelt. Der wirtschaftliche Schaden ist enorm  ■ Aus Bethlehem Georg Baltissen

Bethlehem am letzten Tag der internen Absperrung. Die Männer haben alle Zeit der Welt, zum Friseur zu gehen. Im „Salon Kabir“ in der Altstadt sind die beiden Frisierstühle und die Warteplätze alle besetzt. Im Suk und den Souvenirläden herrscht dagegen gähnende Leere. Mit einer Geste der Verzweiflung bietet ein Händler seine Trauben zum Verkauf an. Obwohl die Preise fast um die Hälfte gefallen sind, bleibt er auf seiner verderblichen Ware sitzen. Nur wenige Einwohner Bethlehems schlendern an den Geschäften vorbei. Mehr als die allernotwendigsten Lebensmittel kaufen sie nicht.

Ein Peruaner, der eine Palästinenserin geheiratet und sich hat überreden lassen, nach Bethlehem zu ziehen, will nur noch weg von hier. „Aber dafür brauche ich wenigstens 1.000 Dollar“, sagt er. Die selbstgemachten Amulette, die er auf der Straße anbietet, kosten nur wenige Schekel. Aber auf Kunden wartet er vergeblich.

Auch der Geldwechsler ein paar Treppenstufen tiefer klagt, daß er seit vier Wochen ohne Kundschaft ist. „Es kommen keine Touristen“, sagt er. „Seit Wochen habe ich kein Geld mehr getauscht.“ Der 30jährige Marwan hat einen kleine Reparaturwerkstatt für Fahrräder. Ein paar Ersatzteile kann er zusätzlich anbieten. „Wir überleben nur dank Gottes Hilfe“, sagt er. Diesen Mittwoch hat er wie so viele andere Tage zuvor seinem Laden gestanden und auf Kundschaft gewartet. Vergeblich.

Chaled von der palästinensischen Touristenpolizei sitzt mit zwei Kollegen am Rande des großen Parkplatzes vor der Geburtskirche. „Wir verbringen den Tag damit, uns untereinander zu unterhalten“, sagt er. „Was sollen wir sonst tun?“ Er hofft, daß die Autonomiebehörde ihm am Ende des Monats sein Gehalt überweist, aber sicher ist er nicht. „Sonst greifen wir auf unsere Ersparnisse zurück. Es gibt ein altes arabisches Sprichwort. Spare dein weißes Geld für die schwarzen Tage.“

„Ja, es gibt einige ärmere Familien, die ihre Strom- und Wasserrechnung nicht bezahlen können“, sagt Bürgermeister Hanna Nasser. „Aber viel schlimmer ist, daß wir keine Steuern kassieren können, weil die Leute nichts einnehmen“, fügt er hinzu. Der Bezirk Bethlehem habe in den vier Wochen der völligen Abriegelung einen Verlust von umgerechnet 75 Millionen Mark hinnehmen müssen, bei einer Einwohnerzahl von rund 100.000 Menschen. Am Mittwoch morgen war der Bürgermeister selbst an der Spitze einer Demonstration zum israelischen Checkpoint gezogen. „Keine Touristen nach Bethlehem zu lassen hat mit Sicherheit nichts zu tun“, schimpft Hanna Nasser noch am Nachmittag. „Es ist eine wirtschaftliche Kollektivstrafe.“

Selbst der apostolische Nuntius in Jerusalem hat sich im israelischen Außenministerium beschwert, daß „christliche Pilger“ daran gehindert werden, die heiligen Stätten zu besuchen. Drei Busladungen mit Touristen treffen an diesem Nachmittag dennoch in Bethlehem ein. Aber sie verschwinden nur für kurze Zeit in der Geburtskirche und fahren dann wieder zurück in vermeintlich sicheres israelisches Gebiet. Vier österreichische Touristen, die in einem Bethlehemer Hotel wohnen, sagen, daß sie an dem einen Checkpoint abgewiesen, an einem anderen aber durchgelassen wurden. Auch habe ihr palästinensischer Taxifahrer einige waghalsige Manöver über Nebenstraßen und Olivenhaine unternommen, um die israelischen Kontrollen zu umgehen.

Am späten Mittwochnachmittag trifft die Meldung im Büro des Bürgermeisters ein, daß die interne Absperrung nach genau vier Wochen aufgehoben ist. Die Bethlehemer können wieder im Westjordanland reisen. Doch Israel, wo viele ihre Arbeitsplätze haben, bleibt ihnen weiterhin versperrt. „Wir verlangen aber die Aufhebung der Absperrung insgesamt“, sagt Hanna Nasser. Den israelischen Vorwurf, in Bethlehem würden sich gesuchte Topterroristen von Hamas verstecken, weist er zurück. „Es gibt einige Hamas-Anhänger hier“, räumt er ein. „Aber die Mehrheit der Bevölkerung will Frieden und wirtschaftliche Entwicklung. Wir sind eine touristische Herausforderung für Israel, und deshalb werden wir bestraft.“

Vier Tage haben die Bethlehemer hintereinander mit Demonstrationen und Steinwürfern gegen die totale Abriegelung protestiert. 15 Palästinenser sind deshalb verhaftet worden. Auf Staatsbesuch in Süd-Korea verkündete Israels Ministerpräsident Netanjahu am Mittwoch, er habe Geheimdienstinformationen, wonach der am 30. Juli beim Attentat auf dem Mahaneh-Jehuda-Markt in Jerusalem verwendete Sprengstoff aus einer Bombenwerkstatt der Hamas in Beit Sahur bei Bethlehem stamme. In Beit Sahur seien einige Chemikalien gefunden worden, die sich zur Herstellung von Bomben eigneten, meint Bürgermeister Nasser. Die Identität der Selbstmordattentäter ist auch vier Wochen nach dem Anschlag nicht geklärt.

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