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■ Höge zwischen Passee und PeenemündeABM auf einen Blick

Als Anarchist (d.h. nach oben treten und nach unten ducken) meide ich die autofreie BMW-Insel Hiddensee und steuere das fast fahrradfreie Opel-Eiland Usedom an, wo Theo Waigel badet. Auf meinem Weg liegt das berühmteste Dorf Mecklenburgs: Passee.

Hier wütete das Lübecker Makler- und Anwaltsduo Wöhlke/Tribess derart, daß der Bürgermeister, Wittek, sich schon bewaffnen wollte und über hundert Gerichtsverfahren anhängig sind. Dafür wird der Flecken mit ABM und Sachmitteln gerade sediert. Wittek organisierte damit, wie elf andere Ostbürgermeister auch, einen „Haustierrasse-Schutzpark“. Obwohl Passee noch immer unter den Lübecker Leistungsträgern leidet, hat der „Katastrophentourismus“ (Wittek) stark abgenommen, der Tierpark müßte dies mit Werbung wettmachen: tut das aber nicht.

Im ABM-Schiff „Georg Büchner“ ist das ganz anders: Auf dem ehemaligen Ausbildungsschiff der DDR-Handelsflotte in Rostock – wo gerade der Brunnen der Lebensfreude renoviert wird – werden jetzt die zügig in Abwicklung geratenden Werft- und Reedereibeschäftigten zu Tourismuskadern umgeschult.

Unterwegs gerate ich prompt in den Problemstau dieses mecklenburgischen Wende- Weges: Alle paar Kilometer werden die Urlaubs-Pkws von Landwirtschaftsfahrzeugen ausgebremst. So geht das nicht! Entweder verlegt man die Ernte in den Herbst oder die Ostseeküste mausert sich zum Winterurlaubsparadies.

Etwas weiter wartet das erfolgreichste deutsche ABM- Projekt: Das Naziraketen- und NVA-Luftwaffenmuseum Peenemünde. Bisher kamen eine Million Besucher – und sanierten dadurch die Gemeinde. Viele Frauen sind irritiert, wie leidenschaftlich ihre Männer dort die runden Stahlkörper streicheln: „Man sagt, diese Wunderwaffen seien Phallussymbole, dabei sind sie eher weiblicher Natur“, vermutet eine Volkshochschulleiterin aus dem Großraum Hannover.

Peenemünde wurde von maßvoll kritischen Museologen weiterentwickelt, unter der Leitung des Kultur-Staatssekretärs Ehmann aus Bielefeld. Dann legten jedoch der Nato nahestehende Nasen anonym nahe, Ehmanns habe „Alkoholprobleme“ und sei wegen „Homosexualität“ unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen. Die Schweriner Landesregierung zog ihn daraufhin aus dem Verkehr. Und die 50 ABMler in Peenemünde befürchten nun, „bald wieder auf der Straße zu stehen“.

Wo ich auch hinkomme, ist die Stimmung gedrückt: Bei den See-Werften in Wismar und Warnemünde erwartet man Massenentlassungen mit der erneuten Privatisierung, bei der Elbewerft in Boizenburg hat man den Betrieb besetzt, weil der Bremerhavener Hoffnungsträger, Petram, die Treuhand- Zuschüsse mehr verschob als investierte, und in Neubrandenburg entfachen die Arbeiter der Maschinenbaufirma „Foodlogistik“ ein Mahnfeuer vor dem Rathaus, um für ihre Zweitprivatisierung neue Anschubfinanzierungen zu erzwingen. Die FAZ immerhin titelt: „Geil: Ostindustrie entwickelt sich positiv“.

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