■ Eine medizinische Drogenabgabe ist keine Akzeptanz von Sucht. Sie ist nur letztes Mittel zur Schadensbegrenzung: Vorrang für den Gesundheitsschutz
Nach der Sommerpause wird der Bundestag über zwei drogenpolitisch wichtige Reformvorhaben entscheiden: zum einen über die Hamburger Initiative zur modellhaften Erprobung der ärztlichen Heroinverschreibung für schwer Drogenabhängige; zweitens über den ebenfalls von Hamburg initiierten Vorstoß zur generellen Zulässigkeit sogenannter Gesundheits- bzw. Druckräume, in denen Junkies ihre mitgebrachten Drogen unter hygienischen und betreuten Bedingungen konsumieren können. Zu beiden Themen haben die Bundestagsfraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen eigene, inhaltlich den Bundesratsvorlagen vergleichbare Anträge vorgelegt; aus Kreisen der FDP-Fraktion ist in letzter Zeit wiederholt Zustimmung zu den Reformvorhaben signalisiert worden. Kein Wunder also, daß von konservativer Seite mit schwerem Geschütz dagegengehalten wird.
Dabei ist der Streit im Grunde müßig, die Argumente sind seit Jahrzehnten bekannt. Während die Reformgegner gebetsmühlenartig darauf verweisen, allein die Drogenabstinenz könne Ziel und Maßstab drogen(hilfe)politischer Entscheidungen sein und jede Aufweichung komme einer Kapitulation vor der Sucht gleich, bleibt doch festzuhalten, daß vor dem fraglos optimalen Ziel eines suchtfreien Lebens zunächst die Sicherung des Überlebens und der Gesundheitsschutz stehen müssen: Nur wer noch lebt, kann auch drogenfrei werden. Nur wer während seiner Suchtkarriere nicht irreversibel krank wird, hat die Chance zur erfolgreichen sozialen und beruflichen Reintegration. Folglich muß zunächst einmal das Nötige getan werden, um drogenbedingte Gesundheitsschäden zu minimieren und die soziale Verelendung von Abhängigen zu stoppen. Gelingt dies mit den klassischen Therapieangeboten nicht, so ist die ärztliche Drogenverschreibung im Sinne einer Ultima ratio ein sinnvoller Ansatz zur Schadensbegrenzung. Vergleichbares gilt für die Druckräume. Statt in öffentlichen Toiletten, Parkanlagen und Hauseingängen sollen die Junkies ihre Drogen in betreuten und sauberen Räumen konsumieren, also unter Bedingungen angemessener Hygiene und – im Falle von Überdosierungen – zügiger Notfallhilfe.
Mit einem Richtungswechsel im Sinne von Suchtakzeptanz und Libertinage hat dies nichts zu tun, auch wenn derlei von manchen gern propagiert, von anderen panisch gefürchtet wird. In Wahrheit steht hinter den oft sehr plakativen Debatten die Positionierung im zunehmend rabiateren Verteilungskampf um finanzielle Ressourcen, die Frage der „Lufthoheit“ in der Auseinandersetzung um die öffentliche Sicherheit in unseren Großstädten, schließlich die Beharrlichkeit Deutschlands im weltweiten Drogenkrieg.
Die Frage, für was im Drogenbereich Geld ausgegeben wird und woher es kommen soll, bezieht sich nicht nur auf die Heroinverschreibung und die sogenannten Druckräume, sondern neuerlich auch wieder auf die Methadonsubstitution. Gern würden Vertreter der Ärzteverbände und Krankenkassen die Überlebenssicherung und Krankheitslinderung bei Drogensucht aus dem Pflichtenkatalog der gesetzlichen Krankenversicherung streichen und als vermeintlichen „Sozialklimbim“ den Sozialhilfeträgern aufhalsen.
Tatkräftige Unterstützung erhalten sie von Vertretern der akzeptierenden Drogenarbeit, die wegen der besseren Politisierbarkeit am liebsten ausschließlich (und reichlich) „Staatsknete“ haben möchten. Ebenso kommt Unterstützung von Abstinenzverbänden, deren Mitgliedsvereine und Einrichtungen – arg gebeutelt durch die Bonner Sparbeschlüsse vom Herbst 1996, die zu drastischen Einschnitten im klassischen Therapie- und Präventionssektor geführt haben – zu fürchten scheinen, daß künftig ein noch größerer Teil des knappen öffentlichen Geldes in Heroinprogramme, Druckräume und ähnliches fließt.
Ein Ausweg wäre durchaus in Sicht und wird sogar mancherorts schon praktiziert: die Öffnung für methadongestützte (dann für heroingestützte) Therapien sowie für andere niedrigschwellige Überlebenshilfen. Voraussetzung wäre auf Verbandsebene der Abschied von dogmatischer Abstinenzfixierung und die Einsicht, daß aller Erfahrung nach für viele Junkies vor der Abstinenz eine oft mehrjährige und nicht selten frustrierende Phase suchtbegleitender Basishilfen steht. Ist eine solche Neujustierung wirklich so schwer?
Das zweite Thema, das in die aktuelle Diskussion hineinspielt, bezieht sich auf die Frage, wie die öffentliche Sicherheit und Ordnung zureichend gewährleistet werden kann. Die Mehrheit innerhalb der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Teile der FDP würden dieses Thema gern sozialverträglich, das heißt ohne allzu drastische Gesetzesverschärfungen und mit einem angemessenen Schuß Sozialpolitik, in den Griff bekommen. CDU/CSU hingegen scheinen die harte Linie drastischer Strafrechtsverschärfungen zu favorisieren. Klar ist indes allen: Die Drogen- und Drogenbegleitkriminalität muß ebenso wie die offenen Drogenszenen massiv zurückgedrängt werden, denn eine zunehmende Zahl von Bürgern hat „die Schnauze gestrichen voll“. Immer lauter fordern deshalb Kommunalpolitiker, Polizeipräsidenten und Teile der Öffentlichkeit die staatliche Heroinabgabe an die Junkies – ein Druck, dem die Politik nur um den Preis rigoroser Repression entgehen kann. Dabei ist auch hier eine vernünftige Perspektive durchaus in Sicht. In Zürich hat die Stadtverwaltung eine klare, auf Hilfe (einschließlich Heroinvergabe) und Repression fußende Strategie entwickelt und umgesetzt. Die zeitweilig fast 2.000 Junkies zählende Drogenszene existiert nicht mehr.
Die dritte Hürde, die bei einer drogenpolitischen Reform zu nehmen ist, zielt auf den internationalen Konsens. Befürchtet wird ein Dammbruch, nämlich daß die ärztliche Drogenabgabe an schwer Abhängige nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer völligen Drogenlegalisierung ist. Wahrscheinlich ist immerhin, daß nach Deutschland auch andere europäische Staaten die Heroinverschreibung in ihre nationalen Strategien aufnehmen würden. Ob dies den Weg für eine umfassende Drogenfreigabe öffnen würde, ist ungewiß, aber eher unwahrscheinlich. Sollte es mittels ärztlich kontrollierter Drogenverschreibung gelingen, dem Thema die aktuell hohe Brisanz zu nehmen, dann entfiele für derartige Diskussionen vermutlich jedwede reale Basis: Kein Mensch wäre mit einer Legalisierungsdebatte „hinterm Ofen hervorzulocken“, statt dessen herrschte Ruhe im Land. Horst Bossong
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