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Die „Bunten“ sollen raus aus Potsdam

■ Häuserräumungen und Randale. Die Stadt Potsdam gibt die Deeskalation auf

Potsdam (taz) – Das Drehbuch steht, die Rollen sind verteilt, den Text können alle im Schlaf hersagen. Seit einer Woche sind „die Bunten“ und „die Bullen“ das Thema Nummer eins. In wenigen Tagen wurden zwei Häuser geräumt und ein drittes durchsucht, das Geschrei ist groß – auf allen Seiten. Von Sachschäden um die 150.000 Mark spricht die Polizei. Über sinnlose Provokation klagen Jugendbetreuer und Streetworker. Wer schuld ist an Krawallen und eingetretenen Türen, wer das Klima anheizt und wer davon profitiert, ist umstritten. Heute wird sich der brandenburgische Innenminister Alwin Ziel (SPD) vor dem Innenausschuß des Landtages zu den Räumungen äußern.

Lokale Politgrößen werden reden. Dierk Homeyer etwa, der innenpolitische Sprecher der Landtags-CDU. Der will alle besetzten Häuser Brandenburgs räumen lassen. Einen „Grundkurs in Rechtsstaatlichkeit“ möchte ihm die Landtagsabgeordnete Andrea Feth (SPD) erteilen, über Räumungen hat nicht der Landtag zu befinden. „Völlig überzogen und unsinnig“ findet PDS-Mann Harald Petzold, den Abschied von der Deeskalationsstrategie der vergangenen Jahre.

Daß die uniformierte Patrouillen in Potsdams Straßen die Bösewichte sind, finden jedenfalls alle, die vor dem Jugendtreff „Oase“ auf dem Pflaster sitzen. Wer hier hartgesottene Straßenkämpfer sucht, der wird enttäuscht. Viele kommen aus Pfarresfamilien, erzählt eine Abiturientin, „Kirche von unten und so, meine Eltern unterstützen mich voll“. Daß die 20jährige vor ein paar Tagen „im Knast gesessen“ hat, kam etwas weniger gut an zu Hause. Aber da wollte sie eigentlich sowieso weg, wollte ins „Archiv“ in der Leipziger Straße ziehen. Doch der Treff der linken Szene in Potsdam, in dem bis vor kurzen Musikbands geprobt haben, wo man Material über die rechte Szene gesammelt, Filme gezeigt und Theater gespielt hat, wurde geräumt. Nach einen Open-air-Konzert flogen Steine, ein Bagger wurde abgefackelt, dann griff die Polizei zu. In der Szene glaubt keiner mehr, daß es bei den bisherigen Räumungen bleibt.

Um Lebensmodelle geht es in Potsdam, um den Umgang mit einer Szene, die sich ins gefällige Bild vom Potsdam der Unesco, vom Potsdam der Schlösser und der Bundesgartenschau nicht einfügen will. 3.861 Wohnungen stehen leer in der Stadt, 270 Gebäude sind unbewohnbar. Und viele der denkmalgeschützten Häuser, die vor drei Jahren geräumt wurden, lassen zerstrittene Erbengemeinschaften oder bankrotte Alteigner verfallen.

„Mit den Investitionen wird das sowieso nichts hier“, sagt eine Schülerin. „Die ziehen trotzdem durch“, meint ein blonder Jüngling, der über dem Lenker seines Fahrrades hängt und die uniformierten Patrouillen nicht aus den Augen läßt. Eine Art Maßnahmenkatalog mit den Adressen aller besetzten Häuser hat er gefunden, als er mit seinen Kumpel das Büro des Jugenddezernenten stürmte, um „Akteneinsicht“ zu nehmen. Nur wann und wo geräumt werden könne, sei da überlegt worden, von Verhandlungslösungen für die Besetzer war keine Rede mehr. Jetzt hat er eine Klage wegen Hausfriedensbruchs am Hals. Und ist sich um so sicherer, wo der Feind steht.

Während Streetworker Klaus Hugler darüber redet, daß „die linken Jugendlichen systematisch aus der Potsdamer Innenstadt ausgegrenzt“ werden, wird das nächste Haus durchsucht. Constanze v. Bullion

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