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"Unglaubliche Leichtfertigkeit"

■ Claus Arndt, SPD-Experte für Telefonüberwachung, hält wenig von Vorab-Kontrollen beim Großen Lauschangriff. Er kennt Rechtsbrüche, die Richter zuvor unterschrieben hatten

Regierungskoalition und SPD haben sich vergangene Woche auf die Einführung des Großen Lauschangriffs geeinigt. Otto Schily, der SPD-Verhandlungsführer, hob dabei vor allem die „rechtsstaatlichen Kontrollen“ hervor. Über deren Wirksamkeit sprach die taz mit Claus Arndt (SPD), dem stellvertretenden Vorsitzenden der sogenannten G-10-Kommission, die im Auftrag des Bundestags die Post- und Telefonüberwachung kontrolliert.

taz: Das Belauschen von Wohnungen soll nur möglich sein, wenn es von Richtern genehmigt wurde. Ist das ein wirkungsvoller Schutz vor dem Überwachungsstaat?

Claus Arndt: Nein, auf keinen Fall. Ich bin nun seit 29 Jahren in der G-10-Komission tätig, und meine Erfahrung ist: Die Vorab- Kontrolle durch Richter versagt in zu vielen Fällen. Da herrscht eine unglaubliche Leichtfertigkeit vor. Es ist wirklich schlimm, was wir in den letzten 30 Jahren mitbekommen haben.

Können Sie das anhand eines Beispiels schildern?

In Köln hatten wir vor einigen Jahren aufgedeckt, daß die Polizei schon wegen eines „leichten Diebstahls“ das Telefon eines Verdächtigten abhörte. Das war zwar offensichtlich unzulässig, aber richterlich genehmigt. Später entschuldigte sich der zuständige Richter damit, daß er an diesem Tag rund 50 Beschlüsse unterschreiben mußte und nicht genug Zeit hatte, alle zu lesen.

Und das war kein Einzelfall?

Fast alle Rechtsbrüche, die wir aufgedeckt haben, erfolgten mit richterlicher Genehmigung.

Der Einsatz von Wanzen und Richtmikrofonen soll nach der geplanten Grundgesetzänderung immerhin durch ein Kollegium von drei Richtern genehmigt werden...

Das ist eine Verbesserung: Sechs Augen sehen mehr als zwei. Allerdings sind nach der geplanten Regelung nur dann drei Richter erforderlich, wenn es um Strafverfolgung geht, nicht aber bei der Abwehr von Gefahren.

Was schlagen Sie vor?

Es sollte wie bei der Regelung für das Zollkriminalamt ein zentrales Gericht für die Genehmigung solcher Maßnahmen zuständig sein. Dieses Gericht kennt sich dann auch mit der Sache aus und weiß, was geht und was nicht.

Warum ist überhaupt ein solcher Aufwand für die Genehmigung von Abhörmaßnahmen erforderlich?

Damit die Maßnahmen wirklich nur bei Vorliegen schwerer Straftaten eingesetzt werden. Und damit Unbeteiligte nicht übermäßig belastet werden.

Unbeteiligte? Angeblich geht es doch um die Überwachung von Gangsterwohnungen?

Die Ganoven sind doch nicht blöd, die wissen den Maßnahmen auszuweichen. Wenn der Lauschangriff kommt, werden vermutlich vor allem andere Personen Opfer der Überwachung sein.

Sie halten den Großen Lauschangriff also für ineffizient?

Richtig. Das ist eine Maßnahme, die zielt genau in den Schlitz der Wahlurne. Interview: Christian Rath

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