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Erinnern an Frauenschicksale

■ Paula Modersohn-Becker, Auguste Kirchhoff, Marie Kindermann und andere kämpften für Frauenrechte / „Belladonna“führt auf ihren Spuren durchs Viertel

Noch immer sind die Zeiten so, daß eine Spurensuche nach dem Leben und Wirken historischer Frauen als „feministisch“bezeichnet werden muß. Dabei geht es beim „feministischen Stadtrundgang“im Ostertor-Steintor-Viertel eigentlich nur um das Erinnern an bedeutende und engagierte Frauen dieser Stadt: die Malerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907), die Frauenrechtlerin und Pazifistin Auguste Kirchhoff (1867-1940), die Schriftstellerin Marie Mindermann (1808-1882), die Pädagoginnen Betty Gleim (1781-1827) und Ottilie Hoffmann (1835-1925).

Seit vier Jahren bietet das Kultur-, Kommunikations- und Bildungszentrum für Frauen „belladonna“diesen zweieinhalbstündigen Rundgang drei- bis viermal pro Jahr an. An diesem Sonntag versammelten sich zwölf Frauen, zwei von außerhalb.

Den Ausgangspunkt Kunsthalle nutzte die Historikerin Gudrun Glahn, um an Paula Becker-Modersohn zu erinnern: Ihr Schwanken zwischen dem Malerinnenleben in Paris und der Existenz als Ehefrau Otto Modersohns fand seinen Ausdruck in ihrer Gedichtzeile: „Ich bin nicht Modersohn. Ich bin ich. Und ich hoffe es immer mehr zu werden“.

Gudrun Glahn machte immer wieder deutlich, daß die Situation von Frauen im 19. Jahrhundert ganz besonders stark in einer gesellschaftpolitischen Spannung stand. So saß Marie Mindermann im damaligen Gefängnis Ostertorwache, weil sie anonyme Zettel wegen der Verurteilung einer Dienstmagd verteilt hatte. Marie Mindermann war Mitbegründerin des „Erwerbs- und Ausbildungsvereins für Frauen“, der 1992 sein 125jähriges Bestehen feierte.

Die fünffache Mutter Auguste Kirchhoff forderte gleiche Rechte für unverheiratete Frauen und Selbstentscheidung in der Abtreibungsfrage. 1915 nahm sie an der Frauenfriedenskonferenz in Den Haag teil.

Der Pädagogin Betty Gleim erschien es absurd, daß Frauen nur für die Hausfrauen-, Mutter und Gattinnenrolle erzogen werden. „Man ertheile den Mädchen wie den Knaben eine Erwerbsbildung“, verlangte sie, die im Alter von 25 Jahren 1806 in Bremen eine „Höhere Lehranstalt für Mädchen“gründete. Damals waren Angriffe auf lesende Frauen üblich, „die aufhören, Weiber zu seyn“.

Unzeitgemäße Zivilcourage besaß auch Ottilie Hoffmann, die den „Deutschen Frauenbund für alkoholfreie Kultur“gründete und entsprechende Häuser eröffnete. Das berühmteste ist das heutige Cafe Ambiente, damals auch „Milchhäuschen“genannt.

In der Charlottenstraße lebten Tür an Tür zwei Malerinnen: Amalie Murtfeld 1828-1888), die ihr Geld als Porträtmalerin verdiente – ihre Bilder lagern in den Magazinen der Kunsthalle und des Focke-Museums – und Luise Kugler (1811-1884), die zum Lebensunterhalt einem Bremer Kaufmann den Haushalt führte.

Gudrun Glahn fand schließlich eine Verschränkung mit dem Heute: Besuche im 1986 gegründeten „belladonna“und im Frauenbuchladen „Hagazussa“, 1978 als eines der ersten feministischen Projekte in Bremen gegründet. Außerdem erinnerte die Historikerin an die Helenenstraße und ihre mehr als 100jährige Geschichte und die wechselnden Umständen der Prostitution. Und sie wies hin auf die „Krüppelfrauen“, die Frauengruppe des am Ostertorsteinweg ansässigen Behindertenvereins „Selbstbestimmt leben“.

Viel wäre noch zu erzählen von den in der Geschichtsschreibung verschwundenen Frauen, von denen Hannelore Cyrus 206 in ihr Lexikon „Bremer Frauen von A-Z“aufgenommen hat. Einigen davon können Frauen auf einer Fahrradtour durch Findorff begegnen: Treffpunkt am 7.9. um 14 Uhr am Haupteingang des Arbeitsamtes. Ute Schalz-Laurenze

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