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BaBaBaBaBaBaPa

■ Mit Im Land der Stille dokumentiert Nicolas Philibert einfühlsam das Leben und die Kultur der Gehörlosen

„Psst. Die Kinder singen“, sagt die Lehrerin und schleust ihre Schützlinge an einem Klassenzimmer vorbei, in dem sich ein Schulchor abmüht, den Klängen des Klaviers zu folgen. Der Unterrichtsplan für ihre Schüler verläuft anders. Vor Computerbildschirmen sprechen die zwischen sechs und zehn Jahre alten Kinder ihr „BaBaBaBaPa“. Erst wenn sie den richtigen Laut getroffen haben, fährt eine Spielzeugeisenbahn vor.

Mit solchen Szenen zeichnet der französische Regisseur Nicolas Philibert den Alltag gehörloser Menschen eindringlich nach. Dabei durchbricht er die Sichtweise der Hörenden, oft zwischen Mitleid und Unverständnis, indem er die Gehörlosen in ihrer eigenen Sprache der Gesten erzählen läßt. Im Land der Stilleherrscht kein betretenes Schweigen.

Auch in seinen filmischen Mitteln läßt sich der französische Regisseur auf die Sichtweise der Porträtierten ein. Er benutzt keine konventionellen Nahaufnahmen, die die Aussagen der Gebärdensprechenden unverständlich machen würden. Wenn sich der Zuschauer in seinem Kinosessel in der scheinbar objektiven Position des Dokumentarfilms gemütlich machen will, wird er jäh ins Geschehen einbezogen.

Der kleine Florent, den man bisher distanziert auf der Leinwand betrachten konnte, dreht den Spieß um, indem er das Mikrophon des Filmteams umwirft und mit Fratzen das Kamerabild sprengt. Im Land der Stille werden die Gehörlosen nicht als Behinderte dargestellt, sondern als Menschen mit einer eigenen Kultur und Sprache.

Daß Gehörlose innerhalb ihrer Gebärdensprache sogar in der Lage sind „zu singen“, beweist eine andere Szene aus dem Film, in der schwerhörige Männer ein mehrstimmiges Chorstück üben. Die verschiedenen Stimmen der Komposition singen sie mit ihrem Körper nach. Statt ihrer Lippen bewegen sie aber ihre Gliedmaßen, die zu unhörbaren Klängen schwingen. Die visuelle Musik der vier Menschen wird hier auch für Hörende spürbar.

Julia Lee

Abaton

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