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Besinnlichkeit unter den Fußnägeln

■ Schickes Schnitt-Staccato: Der Pop-Krimi The Odd One Dies ist den Helden immer auf den Fersen

Mo hat keinen Respekt, vor nichts und niemandem. Nicht vor dem Geld, nicht vor der Gewalt und schon gar nicht vor dem Glück. Er fordert unentwegt das Schicksal heraus, und das Schicksal mag ihn überhaupt nicht. Erst verspielt er seine letzte Kohle, dann wird er von den Türstehern auf der Straße vermöbelt. Die Filmmusik swingt lakonisch, und Mo erhebt sich – das Auge blau, die Rippen verstaucht – nach jedem Schlag wieder schwungvoll aus der Gosse, als wäre überhaupt nichts passiert. Kaneshiro Takeshi spielt dieses Stehaufmännchen mit der Nonchalance eines Popstars, dem im verquollenen Gesicht nur umso stolzer die Augen leuchten. Versuch' so einem mal Hausverbot zu erteilen!

The Odd One Dies ist die Ballade eines Drifters, der nur gewinnen kann, weil er nichts zu verlieren hat. Lakonisch strauchelt der Held durch seine Geschichte, und wenn es ganz dicke kommt, nimmt er auch schon mal einen Mordauftrag an, denn auch Gangster-Kino ist The Odd One Dies, in dem eine Menge geballert wird. Oft zwar ohne tieferen Sinn, manchmal aber ganz zu recht. Etwa wenn Mos Partnerin in Crime, Carmen (Carman Lee Yeuk Tung), ihrem alten Peiniger den Garaus macht. Denn dieses verhuschte Geschöpf wurde einst von ihrem Onkel vergewaltigt. Ja, das Melodram hat in dem spektakulären Genre-Spiel ebenfalls Spuren hinterlassen. Und natürlich ist The Odd One Dies unter anderem und vor allem ein Liebesfilm.

Ein recht sonderbarer, zugegeben. Einmal übernachten Mo und Carmen in einem Hotel, das so muffig ist wie ihre Kleidung. Mo kann einfach nicht schlafen, weil Carmens Turnschuhe höllisch stinken. Ein bißchen später haben sich die beiden in einem Luxushotel eingemietet, aber bevor sie miteinander schlafen, schneiden sie sich erst einmal die Fußnägel. Das sind seltsame Momente der Besinnlichkeit in einem Film, der sowas wie Besinnlichkeit eigentlich gar nicht kennt.

Denn fast unentwegt rennen Mo und Carmen. Manchmal weg vor der Polizei, meistens um ihr Leben. Und Regisseur Patrick Yau bleibt ihnen mit der Handkamera immer auf den Fersen – ohne ihnen auf die Pelle zu rücken. Das ist das Wunderbare an dem Pop-Kino made in Hongkong, das in den letzten Jahren unter der Führung von Wong Kar Wai (Fallen Angels) entstanden ist: daß die Befindlichkeit junger Menschen ohne Umschweife auf den Punkt gebracht wird , aber nicht dem klassischen Erzählmodus einverleibt wird . Plausibel ist erstmal überhaupt nichts, aber alle Motive leuchten ein. Diese Bilder, die mal eingefroren sein können, um dann in Schnitt-Staccato weitergespult zu werden, sind unheimlich schick. Natürlich, dissident sind sie auch. Altmeister Jean-Luc Godard, der selbstredend von der neuen Welle kantonesischer Kino-Kinder bewundert wird, hat sich schon zufrieden geäußert.

Außer Atem sieht man die Helden die ganze Zeit. Schließlich sind sie auf der Flucht, meistens vor sich selbst. An Glück will hier niemand glauben, und das Paradies ist nur eine kitschige Postkarte, die Carmen seit ihrer Kindheit mit sich rumschleppt. Ganz zum Schluß finden die beiden Liebenden ein bißchen Ruhe. Mo liegt auf einem Containerschiff und starrt in den Himmel, an dem das Flugzeug entlangzieht, in dem Carmen sitzt. Natürlich bewegen sich die beiden in entgegengesetzte Richtung.

Christian Buß

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