: Ein Haus als Gesamtkunstwerk
■ Der Innenarchitekt und Möbeldesigner Udo Reinfeld hat sein Wohnhaus in eine bemerkenswerte Galerie verwandelt
Rapunzel wohnt hier nicht. Und auch die Namen der sieben Zwerge sucht man vergeblich auf dem Klingelschild. Aber schon der erste Eindruck des weinlaubumrankten Bremer Eckhauses am Weidedamm ist so, daß es kaum verwundern würde, wenn ein kleiner Kobold den Einlaßsuchenden hereinbitten würde.
Beinahe enttäuscht nimmt man da zur Kenntnis, daß anstelle einer Märchengestalt ein normales Erdenwesen die Tür öffnet. Und obwohl der Gang durch das eigenwillig gestaltete Haus der Vermutung weiter reichlich Nahrung gibt, daß sein Bewohner vielleicht doch nicht nur von dieser Welt ist, zerstreut die Unterhaltung mit Udo Reinfeld am Ende alle Zweifel. Udo Reinfeld ist ein Mensch, wenn auch ein ungewöhnlicher, ausgestattet mit vielen Talenten.
Was andere mehr oder weniger verzweifelt suchen, hat der 54jährige im Überfluß: Berufe. Als Innenarchitekt und Möbeldesigner hat er sich einen Namen gemacht, im Schnoorviertel das Hochzeitshaus und in Dubai ein Gästehaus im Prinzenpalast Musabeh Rashid eingerichtet. Galerist ist er, nachdem ihm die Idee dazu im vergangenen Winter gekommen ist, zwar erst seit einigen Monaten, aber allein die Gestaltung der Galerieräume macht deutlich, daß Reinfeld sich auch mit der Galerie außerhalb der branchenüblichen Geflogenheiten bewegen möchte.
„Ich wollte etwas anderes ausprobieren und dabei dennoch seriös bleiben und ein künstlerisch hohes Niveau garantieren können“, beschreibt der gebürtige Bremer sein Konzept. Anders ist an seiner Galerie in der Tat vieles. Wer sie betritt, tritt zugleich in Reinfelds private Räume. Die Verschmelzung der beiden Sphären ist gewollt. „Wer die Galerie besucht, besucht damit auch mich und wird von mir auch entsprechend empfangen und, wenn er will, bewirtet.“
Daß dennoch das Gefühl bleibt, sich in einer Galerie und nicht (nur) in Reinfelds Wohnzimmer zu bewegen, liegt vor allem an der außergewöhnlichen Gestaltung des zentralen und größten Ausstellungsraumes. Die in einem satten, intensiven Rot leuchtenden Wände erheben den stuckumrankten Saal schon selbst zu einem Ausstellungsobjekt voller auffälliger Details. Von den Sitzmöbeln über den Parkettboden bis hin zur metallenen Fußleiste – alles in dem durchkomponierten Raum hat der Innenarchitekt nach den Regeln seines Metiers effektvoll in Szene gesetzt.
Gegen diese omnipräsente Galeriearchitektur haben die Ausstellungsobjekte einen schweren Stand. Heute abend eröffnet Reinfeld seine zweite Ausstellung mit Werken der Bildhauerin Romaine Lorquet. Auch in der Auswahl der KünstlerInnen verfolgt Reinfeld unkonventionelle Wege. „Ich bin primär Galerist geworden, weil ich befreundeten Künstlern ein Forum bieten wollte.“Mit der 76jährigen Französin ist er, ebenso wie mit dem Hallenser Maler Dietrich Bohley, der im Mai als erster Am Weidedamm ausgestellt hatte, seit Jahrzehnten befreundet. Ohne diesen persönlichen Hintergrund hätte Lorquet, zu deren Bewunderern Picasso und Alberto Giacometti zählten, ihre Skulpturen nicht in Deutschland gezeigt. Und das nicht nur deshalb, weil sie aufgrund ihres politischen Engagements während der Nazibarbarei in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Lorquet hat sich bereits in den 50er Jahren radikal aus dem Kunstbetrieb zurückgezogen um, abgeschieden in der Provence auf einem Bauernhof lebend, konsequent eine sehr eigene ästhetische Ausdrucksweise zu entwickeln.
Der Anschein der Vorläufigkeit, der ihren Steinskulpturen auf den ersten Blick beiwohnt, täuscht. Lorquets Objekte befragen in Permanenz die strikte Trennung zwischen Natur und gegenständlicher Kunst. Sie changieren zwischen beiden Bereichen hin und her, sind Ausdruck eines künstlerischen Schaffensaktes, ohne die Ursprünglichkeit ihrer materialen Beschaffenheit zu verdrängen. Es liegt auf der Linie dieses programmatischen Selbstverständnisses, daß die Bildhauerin die Steinskulpturen nach ihrer Fertigstellung häufig in die Natur zurücksetzt, wo sie anschließend durch natürliche Prozesse Veränderungen erfahren. Moose und kleine Pflanzen, die auch auf den Exponaten in der Galerie zu finden sind, sind stumme Zeugen dieses ewigen Dialogs ohne Schlußwort. zott
Die Ausstellung von Romaine Lorquet eröffnet in der Galerie Reinfeld (Am Weidedamm 7) heute abend um 20 Uhr in Anwesenheit der Tochter der Bildhauerin und ist bis zum 18. Oktober zu sehen
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