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Ach, Egon!

Die Fünfziger sind überall. Wenn Ehrhardt, Rühmann und Rock Hudson kommen, die Hutschirmlampe unterm Arm. Zum Beispiel sonntags...  ■ Von Lennart Paul

Wir können ihm nicht entkommen. Der Geschmack der fünfziger Jahre ist immer bei uns. Er folgt uns direkt in unsere Wohnzimmer, auch wenn wir uns keinen von Charles Eames entworfenen Polyestersessel oder den obligatorischen Nierentisch ins Zimmer stellen. Die Nachkriegsära und ihr Mobiliar ist heute noch Gegenwart: im Fernsehen.

Ein beliebiger Sonntag und das dazugehörige Programm: Um 6.35 Uhr tobt „Hula-Hopp, Conny“ mit Cornelia Froboess über den Bildschirm. Spätfünfziger pur. „Ich und meine Frau“ aus dem Österreich des Jahres 1953 geht kurz nach sieben auf Sendung. Den Mittag überbrückt „Sonnenschein und Wolkenbruch“. Produziert: 1955. Und selbst der „Aufstand der Legionen“ entstammt derselben Dekade – als Historienschinken jedoch nur mit dem Geist, nicht mit Mobiliar der Fifties bestückt. Dafür stimmt bei Heinz Ehrhardts „Ach, Egon“ von 1961 die Inneneinrichtung perfekt, von den schmalen Sesseln mit den Holzbeinen bis zum Rautentapetenmuster. Ob die Filme der 50er zum Revival einer 50er-Jahre-Wohnwelt beitragen? Zweifelhaft. Schließlich verstopfen betuliche Komödien und Heimatfilme die Programme. Und wer richtet sich heute sein Wohnzimmer nach einer Rudolf-Schock-Operette ein?

Aber obwohl das deutsche Kino selten so weit von der Wirklichkeit entfernt war wie in den fünfziger Jahren, zeigt es doch ein realistischeres Bild von der alltäglichen Wohnwelt der Zeit als viele Designbücher. Ob bei Heinz Rühmann oder Heinz Ehrhardt – in die Welt des Kleinbürgers hatte die zurückhaltende Eleganz skandinavischer Designer noch keinen Einzug gefunden. Meist ist die erste Einbauküche noch weit, statt dessen bestimmen Küchenborde und ein schlichter Eßtisch das Bild. Das Nonplusultra der neuen Wohnwelt – Aluminium – ist rar.

Aber wo, wo kann der Zuschauer die schöne Designwelt der Wirtschaftswunderzeit genießen? Die raffiniertesten Neuheiten auf dem deutschen Markt zeigt ein Dokumentarfilm: „Rendezvous unterm Nierentisch“, ein Zusammenschnitt von Werbespots und Wochenschauberichten. Da wird dem Zuschauer gleich die Einrichtungsphilosophie der Aufbauzeit mitgeliefert. „Zweckmäßigkeit prägt den Wohnstil unserer Zeit“, heißt es. Noch waren die Millionäre nicht gemacht, und die Einrichter schielten vor allem auf die kleinen Geldbeutel. Praktisch und vielseitig sollten die Möbel sein.

Den Höhepunkt des Einfallsreichtums beschreibt ein Filmschnipsel über eine Einrichtungsmesse: „Der Spültisch in der Kochnische ist gleichzeitig das Badezimmer der zeitgemäßen Junggesellenwohnung.“ Die Ausziehcouch kam in Mode, langsam auch die Einbauküche mit der jährlich wachsenden Armada von Elektrogeräten. Noch waren sie viel bestaunt, die Constructa-Waschmaschinen und die Bosch-Kühltruhen mit den windschnittig abgerundeten Kanten. Schon bald sollte Technik im Haushalt nicht nur das Leben erleichtern, sondern auch vom neuen Wohlstand künden. Wohl dem, der mit einem ins Bett eingebauten Radio protzen konnte, dessen Lautstärkeregler am Fuß der bauchigen Nachttischlampe angebracht war!

Ausgeprägte Eleganz ist dagegen in einem US-Klassiker zu sehen, der oft wiederholt wird: „Bettgeflüster“ mit Rock Hudson und Doris Day. Die Day darf hier Innenarchitektin spielen, und ihre eigene Wohnung ist ein Fest der Einrichtungswelt der späten Fünfziger. Hier kann jede und jeder Ideen für sein privates Fifties-Revival finden. Die offene Küche ist jetzt vom Essensdunst befreit, ein rotlackierter Tresen läßt sie zur eleganten Hausbar werden. Im Wohnraum nebenan stehen die enggenoppten weißen Ledercouches: ausladend, aber schlicht in der Form. Im Schlafzimmer prunken die Schirmlampen, während der eingebaute Kleiderschrank mit Schiebetüren wieder für nobles Understatement steht. In Rock Hudsons Wohnung wird es geradezu futuristisch, wenn Doris Day ihm eins auswischen will und eine neue Einrichtung entwirft. Hochprozentiger Kitsch, wunderbar zusammengewürfelt. Und die Anklänge an ferne Kulturen lassen im Zusammenspiel mit psychedelischen Farben die nahenden Sechziger erahnen.

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