: Bange Stunden im Glaskasten
Beim Verfahren gegen Benjamin Ramos Vega sitzen auch deutsche Beobachter im Saal. Unter Folter gemachte Aussagen dienen als Beweismittel ■ Aus Madrid Oliver Tolmein
Außen drei Reihen Stacheldraht, innen eine Fotogalerie mit Porträts ausnahmslos aller Botschafter – in der diplomatischen Vertretung Deutschlands in Madrid ist man sich der traditionsreichen Kontinuität der deutsch-spanischen Freundschaft bewußt. „Vor allem in Zusammenhang mit dem Ausbau der gemeinsamen Innen- und Rechtspolitik als drittem Pfeiler der EU pflegen wir ein ausgezeichnetes Verhältnis zu den spanischen Behörden.“ Botschafter Henning Wegner bemüht sich redlich, seinen Landsleuten einen guten Eindruck vom Partnerland zu vermitteln. „Systematische Folter wird von seiten des Staates weder ausgeübt noch geduldet.“ Und das muß man dem freundlichen, korpulenten Herrn glauben, denn seine Dienststelle nimmt – und schon blickt er etwas grimmiger – „sine ira et studio“ genauestens zur Kenntnis, was in Spanien wirklich vor sich geht: „Wir haben Einblicke, die ein flüchtiger Besucher nicht gewinnen kann. Wir verfügen über die besten Informationsquellen, und wenn Sie uns vorhalten wollen, daß wir nicht die Wahrheit sagen, dann bleibt Ihnen der Weg, sich beim Auswärtigen Amt zu beschweren. Ich kündige Ihnen aber jetzt schon an, daß wir dagegen sehr energisch Stellung beziehen werden.“
Die „flüchtigen Besucher“ sind Mitglieder der unter anderem aus Juristen, Gewerkschaftern und Ärzten zusammengesetzten „Kommission zur Beobachtung des Prozesses gegen Benjamin Ramos Vega“, der am nächsten Tag vor der „Audiencia Nacional“ in Madrid beginnen wird.
Sie wollen beobachten, wie im Gerichtsverfahren in einem EU- Staat mit Folter umgegangen wird. Denn die belastenden Aussagen, die am 28. Januar 1995 zur Festnahme von Ramos Vega in Berlin und später zu seiner Auslieferung in seine Heimat führten, sollen nach Mißhandlungen erzwungen worden sein. Dem jungen Katalanen wird seither vorgeworfen, das „Kommando Barcelona“ der baskischen Separatistenorganisation ETA unterstützt zu haben. Jetzt steht der schmale, zerbrechlich wirkende Mann nach zwei Jahren Auslieferungs- und U-Haft vor den Madrider Richtern. Er lächelt freundlich. Er reckt den Hals, bemüht sich, laut zu reden. Es hilft nichts. Ramos Vega ist in dem Glaskasten nicht zu verstehen. Er ist zu klein, seine Stimme zu schwach, um das fast einen Meter über ihm an der Decke hängende, nicht sonderlich empfindliche Mikrofon zu erreichen. Zwei Polizeibeamte zerren Ramos Vega aus dem Verschlag und vor den Richtertisch.
Ob er ETA-Mitglied sei, fragt der Generalstaatsanwalt. „Nein.“ Warum er dann die Wohnung in der Calle Padilla, in der die Polizei Waffen und Sprengstoff gefunden hat, angemietet habe? Für eine Freundin, die ihn darum gebeten habe, weil sie selbst immer viel Ärger mit der Polizei hatte und deswegen nicht im Vertrag auftauchen wollte. Ob er die Wohnung auch angemietet hätte, wenn er gewußt hätte, daß die ETA sie für konspirative Zwecke benötigt? „Nein. Ich hatte gesundheitliche Probleme wegen meiner HIV-Infektion und hätte mich auf so ein Risiko nicht eingelassen.“
Das Verhör dauert eine knappe halbe Stunde. Das gesamte Verfahren gegen Ramos Vega und zwei Mitangeklagte ist auf zwei Tage angesetzt. Verhandlungszeit pro Tag: nicht länger als vier Stunden. Beweisanträge müssen vor Verhandlungsbeginn gestellt werden. Befangenheitsanträge sind unüblich. Die Angeklagten sagen in der Regel aus. Mit ihren Verteidigern können und dürfen sie sich während des Prozesses nicht verständigen. Unterbrechungen werden in der Regel nicht zugelassen. „Hier wird kurzer Prozeß gemacht“, kommentiert einer aus der Untersuchungskommission. Allerdings gehen die Verfahrensregeln, die sich vor allem zu Lasten der Angeklagten und der Öffentlichkeit auswirken, auf die 200 Jahre alte spanische Prozeßordnung zurück und treffen alle Strafverfahren gleichermaßen.
Ramos Vega ist zurück in den Glaskasten gebracht worden. An dessen Seite sind Vorhänge angebracht, die jetzt heruntergezogen werden, damit Angeklagte und Zuschauer den Zeugen, der jetzt auftritt, nicht sehen können: „Sicherheitsbedenken“, lautet die Begründung pauschal. Der Zeuge, ein Beamter der Guardia civil, hat auch keinen Namen, sondern wird als Nummer eingeführt. Im Zuschauerraum, der mit einer dicken Panzerglasscheibe vom Gerichtssaal abgetrennt ist, sind seine Aussagen fast nicht zu hören. „Dann müssen Sie eben ruhiger sein!“ herrscht ein Polizeibeamter die angestrengt lauschenden Kommissionsmitglieder an, als sie sich beschweren.
„Die Gefangene hat Blutergüsse an den Armen und am Rücken. An den Handgelenken und im Genitalbereich hat sie grüne und blaue Flecken. Sie gibt an, geschlagen worden zu sein. Man habe ihr auch eine Plastiktüte über den Kopf gezogen.“ Die Protokollführerin liest den Bericht des Gefängnisarztes vom Februar 1995 schnell und tonlos herunter. Seit Wochen hat die Verteidigung von Ramos Vega verlangt, daß dieser Bericht zu den Akten genommen wird: Erst heute, am letzten Prozeßtag, kurz vor Schluß, ist er endlich herbeigeschafft worden. Argutzane, die zwischen ihren Mitangeklagten Felipe San Epifanio und Ramos Vega sitzt, beginnt während der Beschreibung der Folgen ihrer tagelangen Folter leise zu weinen. Mit einem Papiertaschentuch wischt sie die Tränen schnell und verstohlen ab. Nach den Mißhandlungen in der Zeit der incomunicado, der fünf Tage währenden Phase, in der Gefangene vollständig von der Außenwelt isoliert werden können, hat sie Ramos Vega schwer belastet: Er habe zur Infrastruktur des „Kommandos Barcelona“ gehört. Mit dieser Aussage von Argutzane, die sie im Verfahren selbst widerruft, steht und fällt die Anklage: Die Indizienlage gegen Ramos Vega ist dürftig. Zwar hat er den Mietvertrag für die Wohnung in der Calle Padilla, die von der ETA genutzt worden ist, unterschrieben. Aber dort hat ihn niemand gesehen, die Polizei hat keine Fingerabdrücke von ihm gefunden, und auch sonst spricht nichts dafür, daß Ramos Vega wußte, wofür die Wohnung, die er seiner alten Freundin Lola besorgt hatte, genutzt worden ist.
Für die Prozeßbeobachter gibt es keinen vernünftigen Zweifel daran, daß Argutzane nach ihrer Verhaftung gefoltert worden ist. Nicht nur der Gefängnisarzt, auch ein Gerichtsmediziner hat die vielfältigen Verletzungen bestätigt, für die es sonst keine Erklärung gibt. Im Verfahren wiegt allerdings schwer, daß sie ihre belastenden Aussagen nicht nur vor der Polizei gemacht hat. Sie hat die Äußerungen wenig später in Anwesenheit eines Untersuchungsrichters bestätigt – in diesem richterlichen Verhör hat sie allerdings auch zu Protokoll gegeben, mißhandelt worden zu sein. Ein widersprüchlich wirkendes Verhalten, das Jone Gorizelaia Ordorika, die Anwältin Ramos Vegas, schon oft bei Gefangenen erlebt hat: „Sie haben Angst, wenn sie die Aussage verweigern, ihren Folterern wieder ausgeliefert zu werden. Selbst wenn sie wissen, daß die Zeit der Kontaktsperre zu Ende ist, schaffen sie es oft nicht, sich diesem Wissen entsprechend zu verhalten und die Aussage vor dem Richter zu verweigern.“
Für den Generalstaatsanwalt liegt der Fall klar. Ramos Vega ist Unterstützer der ETA, er hat von dem Waffendepot in der Wohnung und von gefälschten Autokennzeichen, die dort gefunden worden sind, gewußt. Die Aussagen von Argutzane belegen das. Auf den Vorwurf der Folter geht der Ankläger nicht ein, die medizinischen Gutachten streift er mit keinem Wort. Auch daß einige der Angaben von Argutzane, die Ramos Vega belasten, nicht einmal mit den Aussagen der Polizeizeugen in Einklang zu bringen sind, stört ihn nicht. „Sie hat die Aussagen vor dem Untersuchungsrichter bestätigt.“ Das reicht. „Und wenn sie heute widerruft, dann beabsichtigt sie damit nur, Ramos Vega zu entlasten“, argumentiert er. Kurz geht er noch auf das Auslieferungsurteil des Kammergerichts Berlin ein, und die dort verlangten Zusicherungen, unter Folter zustande gekommene Aussagen würden nicht im Verfahren verwendet, hält er für überflüssig. „Wir in Spanien respektieren die Menschenrechte“, bescheidet er kurz und knapp.
Ein junger Mann, der mit Genossen aus dem baskischen Gasteiz angereist ist, um den Prozeß zu beobachten, lacht kurz auf und ist sofort von mehreren Polizeibeamten umringt. Sie, nicht der Richter, haben im Zuschauerraum das Sagen – und sie schmeißen den Widerspenstigen sofort raus. Auch das geht so reibungslos und ohne nennenswertes Aufsehen von statten wie der ganze Prozeß. Das Strafmaß, das der Generalstaatsanwalt für alle Delikte fordert, liegt bei vierzig Jahren.
Der Richter schaut auf die Uhr. Es ist halb drei. Schluß für heute. Die Polizei fängt sofort an, den Zuschauerraum zu räumen. „Raus! Sofort!“ schnauzen sie die Zuschauer an. Die Verteidiger widersprechen: Heute sollte der letzte Prozeßtag sein. Ihre Plädoyers wollen sie nach einer Mittagpause halten. Morgen haben sie andere Termine. „Geht nicht!“ bescheidet der Richter barsch und ohne einen Grund zu nennen. Wenn die Verteidiger morgen fehlen, droht ihnen ein Ordnungsgeld. Das Urteil folgt dann in einigen Wochen.
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