piwik no script img

Grand Prix Rioversion – Großes Scherbengericht im Tempodrom

Rio Reiser ist tot. Als er vor einem Jahr starb, trauerten Promis und Fans spontan im Berliner Tempodrom. Am gleichen Ort sollte Samstag der König von Deutschland auferstehen. Der Verein „Rio-Reiser-Haus“ hatte zehntausend Mark für einen Songpreis ausgelobt. Moderator Jürgen Kuttner erklärt: „Wählt den rioreisereskesten Song!“

Sie sind gekommen, Rios Vermächtnis zu ehren und den Nachwuchs zu begutachten. Junge Frauen in Cordhose, ältere mit bunten Brillen, Männer im Rocker-Look der Siebziger, andere im Leinensakko. Ernste Gesichter allenthalben. Es muß Trauerarbeit geleistet werden. Eine Weißgewandete zwingt dem Publikum eine Schweigeminute auf, die sie mit Ausdruckstanz abschließt.

Dann dürfen acht Bands je einen Song spielen. Die Gruppen heißen „Bullshit Mama“ oder „Cadavre Exquis“ und kommen aus Porta Westfalica oder der schwäbischen Provinz. Gespielt werden soll HipHop, Punk und Polka, je drei Minuten „im Geiste Rio Reisers“. Interviews überbrücken die vielen Umbaupausen. Bruder und Mutter des Verstorbenen auf der Bühne, der Moderator kämpft. „Meinst du jetzt Sponsoren, wenn du Freunde von Rio sagst?“

Die Trauergemeinde wartet geduldig auf den Höhepunkt. Die „Scherben-Family“, eine Combo von Rios Bandkollegen, wird aufspielen. Jetzt verläßt das Publikum den Bierstand Richtung Bühne. Ton Steine Scherben live bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Doch, man mag es gar nicht aufschreiben, die Stimme des toten Rio kommt aus dem Off. Pathos tötet Rock 'n' Roll.

Kurz vor elf ist Schluß. Die „Volksjury“ wählt die Berliner HipHopper „Allianz“ zum RioJunior. Ein Junge in Weste darf sich eine von Sony gesponserte Krone aufsetzen und playback singen. Buhrufe im Publikum.

Robin Alexander

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen