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Feiste Kapitalistenvisagen

■ Der zweite Teil der dreiteiligen Plakatschau „Wir Wunderkinder der Fünfziger Jahre“zeigt im Staatsarchiv politische Plakate von Parteien und Verbänden

Emsig arbeitende Frauen, feist blickende, fette Kapitalisten in Anzügen und anständige Arbeiter, die für „die Sache“mit geballten Fäusten auf den Barrikaden stehen – ja, so was wollen wir sehen!

Können wir auch, denn der zweite Teil der von den Mitarbeiterinnen des Staatsarchivs Antje Dorn und Marion Schreiber konzipierte Plakatschau „Wir Wunderkinder der Fünfziger Jahre“widmet sich mit 40 Exponaten dem Thema Alltag und Politik. Anstelle des Saumagen futternden Oggersheimer Fallobst prangt also diesmal dessen zwangsadoptierter Großvati von den Plakaten im Foyer des Staatsarchivs. Wo heute „Die Braue“Theo Waigel auf Hochglanzpapier Frieden und Freizeit verspricht, strahlte Ludwig Erhard zum Slogan „Wohlstand für alle“von der vergilbten Pappe, und die alte Tante SPD schlingerte zwischen proletarischem Engagement und der Forderung „Kühlschranke für alle“mühsam in Richtung Volkspartei und Godesberger Programm.

Überhaupt, die SPD: Der altbekannte Vorwurf, diese Partei sei so unbeweglich wie die Abwehrreihe von Werder Bremen, trifft ins Leere, betrachtet man die Inhalte der Plakate aus der damaligen Dekade.

Noch 1951 tönt die Partei von einer Wandzeitung im sozialistischen Knüppelreimrealismus: „Zerbrecht des schnöden Mammons Macht, die stets nur Unheil hat gebracht“, um dann als antikapitalistische Vision zu propagieren: „Geplante Wirtschaft ist nicht Zwang, sie gibt den Dingen erst den Rang. Geplante Wirtschaft macht geschehen, das alle gut gekleidet gehen“. Nicht nur das „Zickezacke Hühnerkacke“-Reimschema verursacht Schmer-zen, auch das Modell Planwirtschaft steht nicht erst seit der Bananenrevolution von 1989/90 im Verdacht, vorrangig unsinnig zu sein. Nur wenige Jahre später sind die Inhalte vergessen. An die Stelle von kleinen propagandistischen Zeichnungen, auf denen noch böse Kapitalisten und gute Proleten die Schüttelreime illustrierten, treten Porträts berühmter Genossen über inhaltsfreien Slogans a la „Kurt Schumacher mahnt: Wählen Sie SPD“oder „Für Bremen mit Kaisen“. Wäre das Kaisenplakat nicht so dilettantisch zusammengeklebt (Kaisens Kopf pappt riesig auf dem Bremer Rathaus), wäre es ohne weiteres als zeitlose Vorlage für zukünftige Bürgerschaftswahlen zu gebrauchen.

Ebenso spannend wie die ästhetischen, inhaltlichen und formalen Veränderungen, die die anfangs gemalten Plakate im Laufe der 50er Jahre erfahren haben, sind die Erinnerungen an die zeitgeschichtlichen Hintergründe, vor denen sie während jenes Jahrzehnts ihre Botschaften entfalten. Daß in dieser Zeit die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung akut war, Kommunistenphobie, Osthilfe, Marshallplan und Westintegration die Debatten bestimmten, erinnern selbst die grauesten Zellen im Angesicht der Dokumente. Aber wer weiß noch, abgesehen von alten Insulanern, daß Helgoland von der britischen Armee einst in seine Einzelteile zerlegt werden sollte? Der Mobilisierung der Friesen und der UNO, der Hartnäckigkeit des Helgoländer Steins und der Befolgung des Hinweises „Kein Deutscher reißt dieses Plakat ab“ist zu verdanken, daß Deutschland heute mitten im Meer einen zerbombten Haufen Stein noch sein Eigen nennen darf. zott

Die Plakatausstellung „Wir Wunderkinder. Alltag und Politik“wird heute im Foyer des Staatsarchivs eröffnet. Zu sehen ist sie bis zum 10. Oktober: Dienstag u. Mittwoch von 9-16 Uhr, Donnerstag von 9-20 Uhr, Freitag von 9-15 Uhr

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