piwik no script img

Razzia bei türkischen Islamisten

■ Moscheen und Wohnungen militanter türkischer Islamisten durchsucht, „Imam von Augsburg“ wegen Fatwa verhaftet

Augsburg (taz) – In den frühen Morgenstunden durchsuchten gestern Polizeibeamte und Staatsanwälte Moscheen und Wohnungen in Augsburg, Düsseldorf, Köln und Berlin. Ziel der Razzien war der Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. (ICCB).

Nach Angaben des Augsburger Oberstaatsanwaltes Jörg Hillinger werden seit einigen Jahren in Deutschland interne Konflikte im radikalislamischen Milieu mit extrem hoher Gewaltbereitschaft ausgetragen. Im Mai dieses Jahres war in einer Berliner Wohnung ein 29jähriger türkischer Arzt, Halil Ibrahim Sofu, von einem Killerkommando auf brutalste Weise „hingerichtet“ worden. Von den Killern fehlt bislang jede Spur. Laut Hillinger ging der Mordaufruf von Augsburg aus. Ein 33jähriger türkischer Staatsangehöriger, der „Imam von Augsburg“, Metin Kaplan, der am Dienstagmorgen verhaftet wurde, soll im Frühjahr 1996 bei einem Freitagsgebet in Augsburg zum Mord an Sofu aufgerufen haben. Erst Ende August war der Staatsanwaltschaft bekanntgeworden, daß der Verhaftete als Fahrer im Sicherheitsbereich des Münchener Flughafens beschäftigt war. Staatsanwalt Hillinger betonte, daß die Durchsuchung von Moscheen sich nicht gegen die islamische Glaubensgemeinschaft richte. Er hätte auch eine christliche Kirche durchsucht, wenn er glaubhafte Hinweise erhalten hätte, daß von dort Straftaten ausgegangen seien.

Hintergrund für die gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb des ICCB ist ein Machtkampf, der seit dem Tod des ICCB-Führers Cemaleddin Kaplan im Mai 1995 tobt. Der radikale Kaplan, auch „Chomeini von Köln“ genannt, ernannte den ermordeten Halil Ibrahim Sofu zu seinem Nachfolger als religiöser Führer und nicht seinen Sohn Metin Kaplan. Er sollte fortan am Aufbau eines islamischen Gottesstaates arbeiten. Als Sofu in Berlin immer mehr Anhänger um sich scharte und sich selbst zum „Kalifen der islamischen Nation“ küren ließ, verhängte Metin Kaplan gegen ihn die Fatwa. Veröffentlicht wurde der Aufruf zur Tötung des Arztes, der sich den religiösen Namen Yusuf Hoca zulegte, in der ICCB-Zeitschrift vom 4. 10. 96. Sowohl Metin Kaplan als auch Sofu gelten als radikale Fundamentalisten und Antisemiten.

Vorrangiges Ziel des ICCB ist es nach Recherchen des bayerischen Verfassungsschutzes, die türkische Regierung zu stürzen und eine islamische Diktatur nach dem Vorbild des Iran zu schaffen. Die westlichen Staaten, ebenso internationale Institutionen wie die UNO, aber auch amnesty international gelten als Todfeinde. Von den einstmals rund 3.800 Mitgliedern des ICCB sind rund 1.200 übriggeblieben, eine verschwindende Zahl gemessen an 2,7 Millionen Muslimen in Deutschland. Tendenz: weiter rückläufig.

Als Sofu ein Buch mit dem Titel „Die Demokratie ist das System des Todes“ veröffentlichte, belegte Metin Kaplan dieses Werk mit einem Bann, obwohl er durchaus ähnlich radikale Thesen wie sein Widersacher verfolgt. Doch Metin beschuldigte den ungeliebten Nachfolger seines Vaters, nicht wirklich korantreu zu sein. Auch Sofu hatte seinerseits gegen Metin Kaplan eine – wenn auch gemäßigte – Fatwa verhängt. Insider munkeln, es ginge bei den Streitigkeiten weniger um die wahre Lehre als vielmehr um das finanzielle Vermächtnis von Cemaleddin Kaplan, der mehr als drei Millionen Mark hinterlassen haben soll.

Die Staatsanwaltschaft in Augsburg, die die Durchsuchungsaktionen veranlaßt hat, will jedenfalls dem Treiben der Fundamentalisten in Deutschland nicht tatenlos zusehen, zumal neben dem brutalen Mord an Dr. Sofu auch noch zwei weitere Todesfälle ungeklärt sind, die womöglich auf das Konto der gleichen Killer gehen. Ein 56jähriger türkischer Kaufmann in Salzgitter und eine 31jährige Verwandte des jetzigen Vereinsvorsitzenden in Düsseldorf waren durch Schüsse aus nächster Nähe getötet worden. Klaus Wittmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen