: Das Pentagramm des Kornfeldes
■ Wolfgang Schindlers Rätselsysteme: „Kornfeldfiguren 1990-1995“im KX auf Kampnagel
In dichter Reihe folgt eine Hieroglyphe der nächsten, ein eigenartiges Zeichensystem füllt die Wände im Verein KX – Kunst auf Kampnagel. Doch der Hamburger Künstler Wolfgang Schindler hat diese Schrift nicht erfunden, er hat nur in ein System gebracht, was zwischen 1990 und 1995 auf den englischen Kornfeldern an Formen erschienen ist.
„Es wird jemand gemacht haben, der es gut kann“, sagt Wolfgang Schindler und begegnet den Phänomenen wie Kunstwerken: Betrachtung und Analyse sind ihm wichtiger als die Diskussion über die Herkunft der Macher. Doch da er weltweit eines der größten Archive von Kornkreisen besitzt, weiß er mehr über die Thematik, als er zugeben mag. Und nicht zuletzt im Kreise der englischen Freunde kursiert mehr als eine seltsame Geschichte im Zusammenhang mit Entstehung und Wirkung der physikalisch-bildnerischen Eingriffe in englische Getreidefelder.
Aufgrund der Präzision der Machart und der geometrischen Logik der Arbeiten kann Wolfgang Schindler sie unterscheiden und gruppieren. So ist nach der umfangreichen Sammlung der zweite Teil der Ausstellung eine Analyse der Geometrie. Und die ergibt eine weitgehende Ausrichtung des gesamten Formvokabulars auf eine Fünfeck-Systematik. Schindler macht hinter den gegebenen Formen die „pentagrammatikalische“Struktur sichtbar und stellt ihre weitgehenden Bezüge dar.
Soweit bekannt, ist Wolfgang Schindler der einzige, der alle zur Verfügung stehenden Aufnahmen in architektonisch korrekter Weise auf Grundrisse umgezeichnet hat. Doch Schindler versteht sich nicht als Fachgrafiker für Esoterisches. Er studierte an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste, erst Architektur, dann freie Kunst. Seine Forschungsarbeit systematisiert ein Zeichensystem, das trotz seines Science-fiction-Charakters durchaus künstlerisch gesehen werden kann. Bei einer kunsthistorischen Systematik von Engelstypen ist ja auch die Frage nach der Realitätsebene dieser Wesen nur ein unwesentlicher Nebenaspekt.
Bei einigen der Kornfeldfiguren sind Wolfgang Schindler die Macher sogar bekannt, auch wenn er sie nicht verrät. Daß diese erklärbaren Formen aber die gröberen und schlechter berechneten sind, läßt darauf schließen, hier wird ein anderweitig entstandenes Phänomen nur nachgemacht. Tatsächlich ist die rechnerische und „gärtnerische“Qualität mancher Figuren intellektuell und sinnlich verblüffend. Auf präziseste Weise, wie von oben eingeprägt, wirken diese Formen, deren beste auf den Halm genau keine Abweichungen in der Geometrie haben. Das ist nicht nur gut dokumentiert, das kann selbst der Autor dieses Textes auch durch eigene Anschauung vor Ort bestätigen.
Das Interesse für Schindlers gezeichnetes Formenrepertoire ist nur schwer von der starken Faszination des Kornfeldfiguren-Phänomens zu trennen, das formal so bruchlos zwischen steinzeitliche Mythen und High-Tech-Codes paßt. Ähnlich prähistorischen Felsbildern und römischen Mosaiken, selbst englischer Gartengestaltung nicht all zu fremd, findet es in englischer Tradition und Spleenigkeit den idealen Nährboden.
Im dünn besiedelten Fünfeck (!) in der Mitte Südenglands, in dem die meisten Kornkreise zu finden waren, liegen zudem einige der berühmtesten Vorgeschichtsdenkmäler Europas: Stonehenge und die Steinkreise von Avebury, aus dem 20. Jahrhundert vor unserer Zeit stammend und mit oft mehr als 40 Tonnen schweren Steinen markiert, oder der 40 Meter hoch aufgeschüttete prähistorische Silbury Hill. Und wer, wie und wozu das alles gebaut hat, ist auch bis heute nicht ganz klar.
Hajo Schiff
KX – Kunst auf Kampnagel, Jarrestr. 20, Do – SA 16 – 20 Uhr, bis 28. Sept.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen