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Nach William kommt Wilhelm

■ Nach US-Cop William Bratton meldet sich Direktionsleiter Michael Wilhelm zu Wort. Sein Konzept: Dealern und Junkies das Leben möglichst schwer machen

Der eine wird William gerufen und ist ehemaliger Polizeichef von New York. Der andere heißt Wilhelm mit Nachnamen, ist Polizeidirektor und leitet die Direktion 5 in Kreuzberg und Neukölln. Vor zwei Wochen besuchte der amerikanische Supercop William Bratton die Stadt an der Spree und pries sein Sicherheitskonzept der „Null-Toleranz“. Polizeigewerkschaft und Boulevardpresse jubelten. Das kann ich auch, dachte sich Michael Wilhelm und lud gestern zum Pressegespräch über „polizeiliche Strategien und Erfolge gegen Kriminalitätsbrennpunkte“.

Die Veranstaltung in der Direktion 5 war wohlinszeniert. Schautafeln berichteten von sogenannten Kriminalitätsbrennpunkten am Hermannplatz, Kottbusser Tor, Jahnpark, dem Auto- und Trödelmarkt „Interspar“ sowie der U-Bahn-Linie 7 zwischen den Stationen Neukölln und Rudow. Schuß-, Schlag- und Stoßwaffen waren neben beschlagnahmten Zigaretten und geklauten Fahrrädern drapiert. Expertinnen und Experten für Verbrechensbekämpfung standen Rede und Antwort. Wenig später gesellte sich scheinbar überraschend Polizeipräsident Hagen Saberschinsky dazu. Der beim Besuch des US-Supercops von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) öffentlich düpierte Polizeichef und sein Polizeidirektor Wilhelm dementierten zwar hartnäckig, daß das Pressegespräch eine Reaktion auf den Bratton-Besuch sei. Schließlich versuche die Direktion 5 die Kriminalität und Verslumung schon länger mit einem Maßnahmenbündel und kontinuierlichen Einsätzen an den Brennpunkten zu bekämpfen. Dies werde nur nicht gewürdigt: „Vor kurzem wurden wir noch gescholten, wenn wir unsere Aufgabe konsequent erledigt haben“, klagte Saberschinsky mit Verweis auf die Einsätze gegen „Straftäter am 1. Mai“ und „gegen die Erscheinungsformen der Kleinkriminalität am Breitscheidplatz“. Kaum tauche Bratton auf, „kriegen alle blanke Augen“, und es heiße, „die Polizei ist zu lasch“.

Der Bericht von Wilhelm und seinen Experten war deprimierend. Die Beamten bekämpfen die Drogenszene, indem sie den Dealern durch häufige Kontrollen „das Geschäft zu versauen“ suchen. Die Sanktionen reichen von Platzverweisen über Verbringungsgewahrsam bis hin zu einem richterlich angeordneten Anschlußgewahrsam. Sich ständig „neue Bunker“ für den Stoff suchen zu müssen führe zu einer großen Verunsicherung der Szene, war man sich einig. Die kleinen Junkies würden sogar schon ihr Geld „verbuddeln, weil sie eine Anzeige wegen Mißbrauchs der Sozialleistungen befürchten müßten.

Daß sie den Drogenmarkt damit nicht austrocknen, sondern die Szene nur verdrängen, ist der Polizei bewußt. Um die „Dealer- und Opferbewegungen“ stadtweit nachzuvollziehen, wurde eine zentrale Meldestelle aufgebaut. „Lösen werden wir das Problem nicht“, gab Wilhelm freimütig zu. „Aber selbst wenn es unnütz ist, müssen wir es tun, weil die Bevölkerung einen Anspruch darauf hat.“ Als er vor vier Jahren Direktionsleiter wurde, habe er binnen drei Tagen dafür gesorgt, daß das Kottbusser Tor „so besenrein wurde“, daß man „davon hätte essen können“. Die Szene habe sich daraufhin in die Seitenstraßen verlagert, in die Hausflure uriniert und alles mit ihren Spritzen verdreckt. Er wolle die Szene deshalb „nicht weghaben“, sondern deren Lebensqualität verschlechtern.

Das war das Stichwort für Saberschinsky: „Wir rufen nicht umsonst nach dem Gesetzgeber, denn wir sind es nicht, die die Voraussetzungen für diese Kriminalität schaffen.“ Warum er nicht dem Vorbild seines Stuttgarter Kollegen folge und sich für eine staatlich kontrollierte Heroinabgabe und Einrichtung von Druckräumen einsetze, wurde der Polizeipräsident gefragt. Aber der winkte nur ab: „Das bedeutet nur eine Potenzierung der Probleme.“ Wahrscheinlich muß erst wieder ein Messias aus den USA kommen. Plutonia Plarre

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