Filme des Südens

■ Eine blaugeränderte Weltkarte entrollt sich: Der Schweizer Trigon-Verleih vertreibt Filme, die sonst keine Chance hätten

Eine reichlich rustikale Küche in einem argentinischen Landhäuschen: freundliches Licht, ein großzügiger Holztisch und ein paar Leute, die sich abgebrühte Dialoge liefern. Besuch ist gekommen, ein Abenteurertyp namens Hans (José Sacristán), der behauptet, für den Großgrundbesitzer nach Öl zu suchen. Sein Vater sei als Bomberpilot der Legion Condor abgestürzt, „Gott sei Dank war das Hakenkreuz schon ganz verblaßt, als sie ihn fanden“, erzählt der leutselige Hans.

In dem bescheidenen Häuschen am Rande eines Bergdorfes leben die alerte Ärztin Ana (Cecilia Roth) und ihr Mann Mario (Federico Luppi), der als ehemaliger Unidozent im selben Haus die Dorfschule betreibt und den Kindern der Bergbauern Lesen, Schreiben und Rechnen beibringt. Seine Schwester Nelda (Leonor Benedetto) ist eine unorthodoxe Nonne, die das Gespräch durch trockene Einwürfe bereichert.

Man ist mißtrauisch, denn man liegt im ständigen Streit mit dem Großgrundbesitzer, der die jüngst gegründete Landkooperative immer wieder auszubooten versucht. Die Jüdin Ana und der einst vom Campus verjagte Mario sind sogenannte Idealisten, jedenfalls haben sie für sich und ihren Sohn Ernesto (Gastón Batyi), nach dem Exil in Spanien und mehreren Stationen in Brasilien, diesen Ort als ihr Zuhause ausgesucht.

Erzählt wird die Geschichte dieser Leute aus der Perspektive von Ernesto, der als junger Mann für einen Tagestrip in das einstige „Heimatdorf“ zurückkehrt. Eine ziemlich einfache Sache, die der Regisseur Adolfo Aristaráin hier aufzuziehen scheint. Lauter Gegensätze, gepaart mit sozialem Aufbauwillen, Schafgeblöke und spröden herbstlichen Landen vor der Tür.

Daß daraus ein stimmiges Kinowerk ohne geschönte Ausblicke wird, macht „Un lugar en el mundo“ (1992) zum interessantesten Film der sechsteiligen Reihe, die der Trigon-Filmverleih jetzt in einer bundesweiten Tournee zeigt. Hier brüllt nicht der Löwe im Vorspann, sondern eine blaugeränderte Weltkarte entrollt sich programmatisch. Der Schweizer Filmverleih vertritt über vierzig Filme aus insgesamt 25 Ländern, die sonst kaum eine Chance hätten, außerhalb der Herkunftsländer in die Kinos zu kommen.

„Abseits flachgewalzter Filmpisten“, so Bruno Jaeggi von Trigon-Film, wolle der Verleih sein Konzept verstanden wissen. Unter dem Begriff „Filme des Südens“ konzentriert man sich auf Filme aus Asien, Afrika und Südamerika, die jeweils in Originalsprache mit zweisprachigen Untertiteln versehen werden. Trotz der nichtkommerziellen, in der Hauptsache durch eine Stiftung finanzierten Arbeitsweise zeigt der Verleih Präsenz auf Festivals, beispielsweise Cannes, wo „Po di sangui“ (1996) aus Guinea-Bissau und der indische „Swaham“ (1994) im Wettbewerb liefen.

Typisch für den poetischen Recherche-Charakter vieler Trigon- Filme ist das Sufi-Märchen „Das verborgene Gesicht“ („Gizli yüz“, 1991) des türkischen Regisseurs Ömer Kavur. Basierend auf der Kurzgeschichte „Das Schwarze Buch“ von Orhan Pamuk, wird ein modernes orientalisches Märchen erzählt. Ein verträumtes Road- Movie, in dem ein entscheidendes Dokument nicht als spiritistische Zettelsammlung, sondern als schnöde Videokassette weitergereicht wird.

Ein junger Mann wird durch verschlungene Umstände zum Nachtclubfotografen. Morgens liefert er die Schnappschüsse bei einer mysteriösen Dame (Zuhal Olcay) ab, die in einer nachtblauen Limousine herumfährt und irgendwann plötzlich verschwunden ist. Hier beginnt die eigentliche Story des Films, die den jungen Mann auf eine metaphysische Suchexpedition schickt.

Irgendwo zwischen André Bretons Suche nach seiner „Nadja“ und dem irrlichternden „Stand der Dinge“ von Wim Wenders ist die in weiten Teilen dialogarme Odyssee angesiedelt. Die in Kapitel unterteilte Reise beginnt in Istanbul, der „Stadt der Toten“, und endet in einem kafkaesken Videokopierbüro, in dem alle Klienten Uhrmacher sind oder zumindest eine Uhr umklammert halten müssen.

Die taiwanisch-japanische Koproduktion „Good Men, Good Women“ (1995, Regie: Hou Hsio- hisien) dagegen bezieht sich auf authentische Ereignisse. Chang Bi-yu, die das zugrundeliegende Theaterstück verfaßte, und ihr Freund und Geliebter Chung Hao- tung wurden in den fünfziger Jahren – zur Zeit des Korea-Krieges – Opfer antikommunistischer Repressionen.

Ende der dreißiger Jahre hatte das Paar sich auf dem chinesischen Festland den antijapanischen Guerillaeinheiten angeschlossen. Chung wird nach Kriegsende in Taiwan von einem Exekutionskommando erschossen, Chang überlebt die Gefängnishaft und stirbt erst kurz vor Fertigstellung des Films als 74jährige. „Good Men, Good Women“, der ein ähnliches Thema wie Ken Loachs „Land and Freedom“ behandelt, transponiert die politischen Fakten allerdings in eine Film-im-Film- Klammer.

In einem abgedunkelten Appartement Taipehs vegetiert die junge Schauspielerin Liang Ching (Annie Shizuka Inoh) als Gefangene ihrer momentanen Lebenskrise. Irgend jemand faxt ihr ständig Seiten aus ihrem gestohlenen Tagebuch zu, während sie versucht, sich mit der Rolle der Chung und deren Geschichte auseinanderzusetzen. Szenen aus dem Mafia- und Drogenmilieu, das Liang Ching frequentiert, könnten so auch aus einem Triaden-Thriller in slow motion stammen.

In einem zyklischen Wiederholungsmuster werden diese langsamst abgefilmten Sequenzen kombiniert mit sepiafarbenen Szenen von Zwangsadoption, Gefangennahme und hochernsten Diskussionsrunden zwischen den Genossen anno 1930 über beispielsweise die Bauernfrage. Eine pseudoharmonische Überblendung der historischen Risse ist hier, wie vom Grundtenor her in den meisten Trigon-Produkten, nicht vorgesehen. Gudrun Holz

Die Filme laufen noch bis 22.9. im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30 in Mitte.

Teile des Programms zeigt das Arsenal in der Schöneberger Welserstraße 25 im September, Oktober und November; für die genauen Termine siehe Cinemataz.