: Das Böse, ganz unwiderstehlich
■ Philippe Herreweghe dirigiert Mendelssohns Elias
Am Anfang war das Wort. Auch in Mendelssohn Bartholdys Elias. Elias gibt den alttestamentarischen, zwischen Schmerz, Drohungen, Rache und Erlösung schwankenden Ton an, kurz und bündig: „Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.“Dann erst beginnt das Orchester, sehnsüchtig pulsierend, immer wieder über den auftaktischen Leitton die kleine Entspannungssekunde weit zum Grundton hinaufstrebend: Erlösung ist schon möglich; sie muß aber erkämpft werden.
In der Mitte des Konzerts in der Unser Lieben Frauen Kirche war die Pause. In den einschlägigen Gesprächen zur Urteilsfindung in der Warteschlange vor der Toilettentür war zu hören: ....fand ich oft zu dick aufgetragen ...satter Bariton dieser Prophet.... naja, die Intonation des Tenors war ja wohl nicht so ...tolles, flirrendes Vibrato hat die Sopranistin... die Rezitative bei Mendelssohn sind aber süffig... war das Orchester bei den leisen Stellen nicht manchmal zu laut... Philippe Herreweghes Collegium Vocale Gent, verstärkt durch La Chapelle Royale, und das Orchestre des Champs Elysées musizierten sicher nicht absolut einwand-frei, – aber immerhin fast.
Eine Gelenkstelle des Oratoriums ist das Lösen der nagenden Zweifel des Elias durch das Wahrnehmbarwerden Gottes – im Alten Testament hat er sich zu solchen Existenzbeweisen noch gelegentlich herabgelassen. „Aber der Herr war nicht im Feuer“, er kam getarnt als „ein stilles, sanftes Säuseln“. Chor und Orchester hingegen hegen eine besondere Vorliebe für das Feuer, für alles Feurige. Und auch die Komposition zeigt sich verführt vom Reiz alles Gewaltigen. Nicht nur, daß das Feuer – höchst verdächtig – einen viel breiteren Raum zugeteilt bekommt als das Säuseln. Die Komposition genießt und kultiviert ganz generell das Kulminieren von Rache und Verzweiflung, – und Herreweghe genießt mit. So treibt das Orchester das Hetzen des Propheten – „greift die Propheten Baals, daß ihrer keiner entrinne“– wunderbar aggressiv voran. Jagd macht es, immer auf den nächsten Takt. Und in einer eigentlich nicht übermäßig wortmalenden Komposition saust der strafende „Hammer, der Felsen zerschlägt“so richtig schön anschaulich nach oben und unten. Aber auch das Böse erhält seinen unwiderstehlichen Reiz. Bei den Beschwörungen der Baalsgemeinde machen massive Blechbläserfronten ein goldenes Kalb förmlich sichtbar. Da blitzt es und funkelt über den Chor hinweg. Ein homophone Satz veranschaulicht die massive Stupidität der Baalisten. Und bei der zweiten Götzenanrufung summen die Bläser nervös wie ein königinenloses Bienenvolk. Die musikalische Struktur signalisiert geballte Dummheit, aber eben mit ergreifender Geballtheit von Herreweghes Ensemble in den Raum gepustet. Entspannend intim ist demgegenüber das folgende Glaubensbekenntnis des Elias.
Doch auch der wahre Glaube kommt oft massiv daher. Gelegentlich auch unisono, einstimmig, ein Volk, eine Stimme: „der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke“. Weisheit hat schlicht zu sein, entscheidet der Komponist – und gewaltig, entscheidet Herreweghe. Aber nicht immer. Richtiggehend magische Momente gabs auch in zarteren Gefilden. „Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig“: die bedachtsam, meist in Sekundschritten geführte Melodie singt der Chor mit einer Behutsamkeit, als sei so viel Weisheit zerbrechlich.
Fast wie bei Bach: die inneren Räume des des christlichen Daseinsverständnisses werden nur auf leisen Sohlen beschritten.
Am Ende war das Publikum restlos begeistert. bk
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