: Panik-Bürgermeister
■ Udo Lindenberg feiert heute mit neuem Album „Kosmos“ seinen 49. Geburtstag Von B. von Stuckrad-Barre
Wißt Ihr, wer Geburtstag hat? Unser lieber Udo! 50. Lebensjahr und kaum noch Haar, dafür aber Hut, tief in die Augen gezogen. Heute wird Udo 49, und ebenfalls heute erscheint sein neues Album „Kosmos“. Letzteres ist nicht ganz so prima: Seit Jahren gelingt es Lindenberg spürbar weniger, schlichte Songs mit pampig-frohlockenden Versen zu komponieren.
Wo ehedem Piano und Gitarre einander liebkosten, umweht von fragiler Jungmänner-Stimme, eiern heuer Keyboardbreitseiten; und Lindis Stimme ist gänzlich dunkel geworden. Traurig klingt er und ein bißchen alt. Darf er das? Jajaja, denn im Oktober vergangenen Jahres feierten wir alle deutschrocktrunken sein 25jähriges Bühnenjubiläum. Die versammelte deutsche Pop-Rock-Armee zollte Udo damals Tribut mit einem Cover-Album. Das war nicht originell, doch riefen die frühen Songs in Erinnerung, daß da mal was war. Da war Udo, der schmale Jüngling aus dem westfälischen Gronau, der Anfang der 70er Jahre den Eppendorfer Kiez ums Onkel Pö das Fürchten lehrte und später ganz Hamburg.
In den folgenden Jahren schwang Udo sich zum Vorreiter deutschsprachiger Popsongs auf. Klassiker wie „Andrea Doria“, „Chello“ oder „Hoch im Norden“ ragen noch heute weit heraus. Lindenbergs Revolutionsgerätschaft waren der Panik-Gürtel, der Hut, der ewig-flapsige Gestus und allseits akzeptiertes Panik-Credo, obschon niemals jemand genau zu skizzieren vermochte, was eigentlich die Lindenbergsche Panik ausmacht(e). Bei Slogans wie „Mach dich locker“ oder „Alles geht“ erübrigten sich jedoch Nachfragen. Lindenberg und sein Panikorchester – das war einfach so. Hör die Songs und wisse: Auch Du gehörst zur Panikfamilie, Mann.
Was ist – nun – davon geblieben? Ein Lindenberg, der in den 80ern kreativ stagnierte, sich in unheilige Computerwelten flüchtete und fortan mit seinen Annäherungsversuchen an Honecker & Co. neue Berechtigung suchte und sie auch fand. Der „Sonderzug nach Pankow“ oder die Lederjacke für den einstigen Staatsratsvorsitzenden; schlecht war das nicht. Konzerte an der Mauer, unzählige Fans jenseits derselben, relativ guter Draht zur Führungsriege; das brachte ihm sogar das Bundesverdienstkreuz ein. Udo war vom Bürgerschreck zum Bürgermeister geworden, Panikaccessoires mutierten zur gutgelaunten Farce.
Dann kam jedoch die Annexion der DDR und nivellierte dies liebgewonnene Sujet. „Das Mädchen aus Ostberlin“ war nunmehr ein schönes Lied, aber nicht mehr so wichtig. Was also tun? Älter werden. Ja, denn Udo weiß, „es gibt keine Alternative“. Soso. „Kosmos“ ist kein schönes Geburtstagsgeschenk für den Fan, sondern ein Abgesang. Doch Udo empfindet die Last der Jahre als „Veredelungsmaßnahme“. Da hat er Unrecht, doch gehört er immer noch dazu. Die nationale Musikszenerie zerfasert zusehends, froh ist man um konstante Eckwerte. Erleichtert stellt man fest, daß Udo immer noch nuschelnd trällert, daß es ihn nach „Brüsten wie Gazellen“ dürstet. Und dazu beteuert er, solche Dinge „auch mit 69 noch“ singen zu wollen. Ein „Gesetzesbrecher war ich schon immer gerne“, trällert er heute, was – bei allem Respekt – wirklich nicht mehr hinkommt. Trotzdem, herzlichen Glückwunsch!
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