Jugendheime kapitulieren vor der Gewalt

■ In Kreuzberg wurden zwei Jugendheime vorerst dichtgemacht, nachdem Mitarbeiter krankenhausreif geprügelt wurden. Sozialarbeiter warnten schon im Frühjahr vor wachsender Gewaltbereitschaft

Am Ende reichte eine Backpfeife. Ein Jugendlicher hatte Romanus Pflock, dem Leiter des Jugendklubs „Chip“ in der Reichenberger Straße, eine gescheuert, „sicherlich ein Ausdruck für den Autoritätsverlust des gesamten Teams“, wie „Chip“-Sozialarbeiter Wolfgang Fischer selbstkritisch einschätzt. Das Bezirksamt Kreuzberg zog die Notbremse und schloß die kommunale Einrichtung, präventiv und nur vorübergehend. Nicht wegen der Backpfeife, die war nur der letzte Auslöser. Spätestens seit Frühjahr war die Situation im Jugendklub immer wieder eskaliert. „Die Jugendlichen begegnen ihren Problemen mit zunehmender Gewaltbereitschaft“, sagt Sozialarbeiter Fischer. Gewaltbereitschaft nicht nur gegenüber dritten, sondern auch untereinander.

Das „Chip“ in Kreuzberg ist ein Treffpunkt für Jugendliche verschiedener Ethnien: Araber, Türken und Kurden. „Es besteht die Gefahr, daß sich ein ansonsten harmloser Konflikt zu einem ethnischen Konflikt hochschaukelt“, sagt Wolfgang Fischer. Viele Jugendliche seien konfliktunfähig, betont eine ehemalige „Chip“- Mitarbeiterin. Würden einen auf Macker machen. Auf Stolz und Ehre rumreiten. Seien nicht in der Lage, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen – teilweise bedingt durch die Verhätschelung im Elternhaus, teilweise durch die gesellschaftlichen Bedingungen: kein Schulabschluß, keine Lehrstelle und kein Job. „Werden die politischen Rahmenbedingungen nicht geändert, wird es mit der Gewalt noch schlimmer“, prognostiziert Wolfgang Fischer.

Ein paar Straßen weiter, Cuvrystraße, ein ähnlicher Vorfall. Ein Praktikant im Jugendklub „Q-free“ wurde von Jugendlichen einer türkischen Gang krankenhausreif geschlagen. Wieder schritt das Bezirksamt ein; der Klub wurde vorerst geschlossen. Als reines Jugendhaus soll das Gebäude zukünftig nicht mehr genutzt werden, so die Kreuzberger Jugendstadträtin Hannelore Mey. Angedacht ist, das Haus anderen freien Trägern anzubieten.

Schon einmal, im April dieses Jahres, war das „Q-free“ im Wrangelkiez in SO 36 vorübergehend geschlossen worden. Die Jugendlichen hatten Inventar zertrümmert und Betreuer bedroht. „Hier brennt es überall“, hatten die Mitarbeiter des Kreuzberger Projektplenums, ein Zusammenschluß von 24 freien und öffentlichen Kinder- und Jugendeinrichtungen des Bezirks, schon damals Alarm geschlagen.

Im Oktober soll das „Chip“ wieder öffnen. Vorausgesetzt, ein neuer Leiter und ein Konzept sind gefunden. Sozialarbeiter Fischer wie Stadträtin Mey favorisieren „das Prinzp der demokratischen Kompetenzen“, also die Mitbeteiligung der Jugendlichen an den Angeboten. Denn als Ursache für die Gewalttätigkeiten hat Fischer die fehlende Identifikation der Jugendlichen mit dem Klub ausgemacht. „Viele haben aufgehört, sich verantwortlich zu fühlen.“ Jens Rübsam