piwik no script img

Mehr Kabel für den Körper ...

... und gleiche Rechte für Computer. Eine Woche digitaler Zirkus: Die ars electronica in Linz  ■ Von Tilman Baumgärtel

Montag auf der Hauptstraße in Linz, Österreich: Auf dem Platz vor dem Neuen Rathaus schreien etwa zehn Finnen sehr laut und sehr rhythmisch in Mikrophone, die ihr Gebrüll noch lauter über den ganzen Platz verbreiten. Etwas weiter rechts von ihnen fahren Kleinroboter, die wie Tischstaubsauger aussehen, ferngesteuert um einander herum. An der Nibelungenbrücke, die über die Donau in die Innenstadt von Linz führt, steht ein Zelt, in dem ein Amerikaner eine Kochperformance durchführt.

Wer durch die Scheiben des ars electronica center guckt, sieht innen den australischen Body-Art- Künstler Stelarc, dessen Körper über Elektroden an all seinen Gliedern direkt mit dem Internet verbunden ist. Der massive Körper des 50jährigen zuckt unter den Stromschlägen, die mit bis zu 40 Volt in seine Muskeln schießen. Videoaufnahmen von diesem Martyrium werden an die Außenwand des Museums projiziert, dazu ballert vom Deck eines Diskjockeys lauter Techno über den Platz.

Irgendwo dazwischen wandert noch ein Geselle herum, der eine Videokamera vor seinen Kopf geschnallt hat und seine Umwelt nur auf dem Bildschirm vor seinen Augen sieht. Zwischen all dem multimedialen Trubel verlieren sich trotz der lauen Sommernacht jedoch bloß einige hundert Linzer.

„Der digitale Zirkus macht halt in Linz“, heißt es sehr treffend in der Kurzbroschüre, die zur ars electronica erschienen ist. Für eine Woche ist die österreichische Industriestadt jeden September Treffpunkt der internationalen Medienkunstszene. Das Festival findet bereits seit 1978 statt und ist mit jedem Jahr größer und unübersichtlicher geworden.

In diesem Jahr könnte die Unübersichtlichkeit freilich auch von dem eher unklaren Festivalthema herrühren: „Fleshfactor – Informationsmaschine Mensch“ – darunter kann man sich so einiges vorstellen. Viele Festivalbesucher sind sowieso schon lange davon überzeugt, daß es die Hauptaufgabe der ars electronica sei, zur Imageverbesserung von Linz beizutragen und die Stahlstadt als Standort für neue Hightech-Unternehmen zu empfehlen. Im letzten Jahr war ein eigenes ars electronica museum eingerichtet worden, in dem unter anderem Electronic Class Rooms und Virtual-Reality-Simulationen bestaunt werden können.

Auch in diesem Jahr hatte es sich der österreichische Bundeskanzler Viktor Klima nicht nehmen lassen, persönlich zur Eröffnung des Festivals zu kommen – das Medienkunstfestival als Wirtschaftsfaktor. Das Symposium, das die Ausstellung begleitet, war schon ein halbes Jahr vorher im Internet vorbereitet worden. Unter der Leitung des amerikanischen Künstlers Tom Sherman diskutierten dort Berufene aus der ganzen Welt über „Beziehungs- und Orientierungssstrategien der Antipoden Mensch und Maschine im wechselseitigen Prozeß von Adaption und Assimilation“.

Daß Mensch und Maschine überhaupt noch Antipoden sind, wurde freilich von einigen Rednern bei dem Symposium vehement bestritten. Max More, der amerikanische Begründer des Extropy Institute, ist zum Beispiel davon überzeugt, daß der Mensch mit Hilfe von neuen Technologien in der Lage sein wird, die biologischen Limits zu überschreiten: „Unsterblichkeit durch Technologie“ – so könnte man das Credo der sektenartigen Gruppierung der „Extropen“ zusammenfassen.

Da paßte es gut, daß zu den Teilnehmern der Konferenz auch ein Computerprogramm gehörte: „Huge Harry/(01)“ ist eine freiverkäufliche Sprachsoftware, die laut Konferenzbroschüre „begonnen hat, sich für gleiche Rechte für Computer einzusetzen“. Bei der Rede, die der sprechende Computer bei der ars electronica hielt, war an seine Ausgangsbuchse der holländische Künstler Arthur Elsenaar angeschlossen, dessen Gesichtsmuskeln mit kleinen Elektroschocks so simuliert wurden, daß er zum Vortrag von Kollege Computer lustig mitgrimassierte.

Daß der Mensch der Technologie nur noch als Marionette dient, ist freilich eine Vorstellung, die lange nicht allen behagt: Donna Haraway, Biologin und selbsternannte „Pseudowissenschaftlerin“ aus den USA, ist zwar durch ihr „Manifest für Cyborgs“ bekannt geworden. Aber in ihrem Vortrag über die genetisch veränderte und patentierte Onco-Maus betonte sie die Machtphilosophie, die dem naturwissenschaftlichen Diskurs eingeschrieben ist. Ein bleibendes Charakteristikum der ars electronica scheint es allerdings zu sein, daß bei ihr eher selbsternannte Technovisionäre zu Wort kommen als Leute, die sich mit den konkreten sozialen und politischen Folgen der neuen Technologien auseinandersetzten.

Dazu paßt auch die dort ausgestellte Hightech-Kunst. Vieles gehört zu der Gattung, die oft spöttisch „Silicon Graphics“-Kunst genannt wird – nach den kostspieligen Hochleistungscomputern, die für ihre Realisierung notwendig sind. Erstaunlich dagegen für ein Festival, das sich seit fast zwanzig Jahren mit Medienkunst beschäftigt, daß das Internet eine vergleichsweise nebensächliche Rolle spielte. Zwar schwitzten in einer „Netzsauna“ finnische Künstler vor ihren Computern, zwar gewann die Arbeit „Web Hopper“ von der Gruppe Sensorium (http:// www.sensorium.org) sogar einen Preis für ihre Installation, die Netzverbindungen auf einer Weltkarte darstellt – aber insgesamt würde man von der ars electronica eine stärkere Betonung der Aktivitäten in und um das World Wide Web erwarten.

Den enthusiastischsten Besuchern der ars electronica dürfte all das freilich egal sein: Die Teenager, die im ars electronica museum im Internet surften, freuten sich wahrscheinlich über den kostenlosen Netzzugang.

Homepage der ars electronica: http://www.aec.at

Liveberichterstattung: http://netreport.aec.at

Netzkunst bei der ars electronica: http://remote.aec.at

Veranstaltungsorte: ars electronica center, Hauptstrasse 2 und design center, Europaplatz 1, in Linz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen