Sättigungsbeilagen zu Daseinskater

■ Herzzerreißende Zoten: Lars-Ole Walburg inszeniert „Indien“in der Kantine des Schauspielhauses

Indien ist woanders. Jedenfalls nicht zwischen den aufgeweichten Lagen einer ertränkten Klopapierrolle oder unter rutschenden Teppichböden, die Bösel und Fellner mit Blockwarteifrigkeit inspizieren. Die Beamten sind unterwegs, um Brandenburgische Restaurants auf ihre Prospekttauglichkeit zu prüfen. Und zwischen all diesem speckigglänzenden Gaststättengrauen sinniert Bösel über Gegrilltes, Fellner über Sättigungsbeilagen, über die Vorzüge des Frühlings und, im Refrain, über Indien. Dort, wo man am Ganges bis zur Weisheit wartet oder bis der Feind leblos auf dem heiligen Fluß an einem vorbeizieht.

Heinz Bösel (Jörg Schneider), kleinkariert in der Wahl seiner Socken wie im Format seiner Vorurteile, weiß der stieseligen Halbbildung seines Kollegen Kurt Fellner (Michael Weber) nur grölende Kartenspieltriumphe entgegen zu setzten. Der Rest ist Feindschaft.

Die Dialoge, die sich die österreichischen Kabarettisten Josef Hader und Alfred Dorfer für ihr Theaterstück Indien auf den Leib geschrieben haben, trösten jedes Publikum, das über dem zahnlosen Geplänkel der deutschen Komödien die subtilen Gemeinheiten des begnadeten Vaterlandbeschimpfers Thomas Bernhard zu vermissen gelernt hat.

Lars-Ole Walburgs Inszenierung hat, wie bereits auch Paul Harathers Verfilmung, zu dem penetrant genauen Blick der beiden Kabarettisten mehr beizusteuern als die Präsentation zweier kunstvoll enthemmter Komiker, die den Witz unter der Gürtellinie einen von der Kette gelassenen Schweinehund ausspielen lassen.

Vor der Herrentoilette und in der verbrüdernden Intimität fäkalsprachlicher Eintracht beginnt die Freundschaft, in der sich die beiden Mutter und Vater, Weib und Kind oder eine ohnedies untreue Freundin ersetzen.

Die Metamorphosen eines Kleingartenlöwen mit Cowboystiefeln und eines einsamen Ordnungsfanatikers, sie stehen immer mit halbem Bein im schenkelklopfenden Klamauk. Und so ist es nicht allein der pointensicheren und gut getimten Inszenierung dieser trüben Zwangsgemeinschaft, sondern auch den zwei behutsam aufeinanderzuspielenden Schauspielern Michael Weber und Jörg Schröder zu verdanken, daß Indien nicht zwischen den Zapfhähnen einbricht. An der schwächsten Stelle des Stückes, dort, wo die Kömodie fast ruppig ins Tragische getunkt wird, wo Kurts von Komplexen überwucherte Männlichkeit in Form eines Hodenkrebses den Abgesang auf alle bierseligen Männerbünde einläutet, sind die beiden ganz mit dem Abschluß ihrer wunderlichen Freundschaft allein.

Und wenn Bösel nicht weiß, ob er lachen oder weinen soll, weil er sich nicht sicher ist, ob die Tragödie beginnt oder bereits am Ende ist, hat sich die Inszenierung längst still von Salzstangenzotigkeit zum herzzerreißenden Daseinskater gehangelt.

Birgit Glombitza