: „Der hat die Nase gestrichen voll“
■ Auch politische Zeckenbisse machten Ulrich Nölle schwer zu schaffen
Mit einem stahlenden Lächeln, die Zeige- und Mittelfinger zum Siegeszeichen gespreizt, präsentierte sich Ulrich Nölle (CDU) im Juni 1995 Seite an Seite mit Henning Scherf (SPD). Der Mann, der angetreten war, „um Bürgermeister zu werden und sonst gar nichts“, hatte sein Ziel erreicht. Gestern ist Ulrich Nölle von seinem Amt als Bürgermeister und Finanzsenator zurückgetreten – aus gesundheitlichen Gründen, lautet seine offizielle Erklärung. Seit einem Zeckenbiß vor zweieinhalb Monaten leidet Nölle unter der Viruskrankheit Boreliose. Sein Bürgerschaftsmandat will der 56jährige Politiker allerdings behalten.
„Der hat die Schnauze gestrichen voll gehabt“, hieß es hingegen aus Kreisen der CDU. Tatsächlich war Nölle das strahlende Lächeln schon wenige Wochen nach seinem Dienstantritt vergangen. Mit dem Koalitionsvertrag schluckte er den Bau der umstrittenen Straßenbahnlinie 4. Er sei angetreten, um den Bau zu verhindern, hielten ihm daraufhin die enttäuschten Wähler vor. Und auch die ersten Zahlen des Finanzberichtes, die wenige Wochen später auf seinem Tisch lagen, hatten es in sich: Der Finanzbericht für das erste Halbjahr 1995 ergab ein Loch 185 Millionen. Damit war klar, daß die Schuldentilgung von 600 Millionen Mark, die sich Nölle im Wahlkampf 1994 vorgenommen hatte, ein ehrgeiziges, aber unerreichbares Ziel bleiben würde – und zwar trotz der Finanzspritze aus Bonn von 1,8 Milliarden Mark. Nölle – der gegen den Schuldenberg von 17 Milliarden Mark wenig ausrichten konnte – erfand den Begriff der „Minustilgung“.
Henning Scherf war es, der Ulrich Nölle verteidigte. „Ich bin sicher, daß der Ulli in Bonn eine Menge herausholen wird“, gab Scherf sich in bezug auf die anstehenden Sanierungsverhandlungen zuversichtlich. Daß sich Scherf und Nölle immer besser verstanden, wurde in der CDU argwöhnisch beäugt. Er bewahre dem Koalitionspartner gegenüber zu wenig Profil, mußte sich Nölle anhören. Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) ging als neuer Spitzenkandidat in die Startlöcher. Gut ein Jahr nach seinem Amtsantritt kursierten die ersten Rücktrittsgerüchte. Nölle dementierte – sichtlich verletzt. Die Aktion war – so verlautete damals – eine lancierte Kampagne des Landeschefs Bernd Neumann, der Nölle demotivieren wollte. Auf einem Parteitag im April verteidigte Neumann Nölle allerdings mit rührigen Worten: „Das ist kein Softy, sondern es ist Ulli, Ulrich Nölle, unser Finanzsenator, dem ich herzlich danke.“Worte, die acht Wochen später einen anderen Klang bekamen. Nicht einmal 30 Prozent der Wählerstimmen würde die CDU bekommen, hieß es in einer Umfrage, die die CDU in Auftrag gegeben hatte. Die Frage nach einem neuen Spitzenkandidaten drängte sich auf. Angeblich sollen Neumanns Gefolgsleute die vertrauliche Umfrage bewußt in der Presse lanciert haben, um Nölle zu schaden. Doch Nölle schlug zurück. Er versuchte Neumann zu stürzen und scheiterte. Die Kontrahenten vertrugen sich.
Das Verhältnis zu seiner Partei sei „in Ordnung“, versicherte Nölle gestern. Er habe sich allerdings nie an das Grüppchen-Verhalten in der Bremer Politik gewöhnen können. Eine Grüppchen-Entscheidung war Nölle erst vor wenigen Tagen wieder aufgedrängt worden. Auf Geheiß von Neumann mußte Nölle – gegen seinen Willen – J. Henry Wilhelms (CDU) angeblich zum Geschäftsführer der Fischereihafen- Betriebsgesellschaft küren. Er sei regelrecht „angeekelt“gewesen, von diesem Pöstchengeschacher nach Sozi-Manier, hieß es. Daß er vor wenigen Tagen von Elke Kröning (AfB) als „Feriensenator“bezeichnet worden war, brachte das Faß zum Überlaufen. In seinem Haus in Port Andratx (Mallorca), das er im April gekauft hat, hatte Nölle lediglich seinen Jahresurlaub verbracht. Man werde von der Presse zum Teil „getrieben“, sagte Nölle. In Anbetracht solcher Angriffe stellte er sich immer häufiger die Frage, ob sich die persönlichen Opfer tatsächlich lohnen. Die Krankheit seines Kollegen und Freundes Friedrich Rebers, der den Landesvorsitz der AfB niedergelegt hat, sollen Nölle sehr nachdenklich gemacht haben. Seit gestern kann er wieder lächeln. kes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen