piwik no script img

Stimme im Zwiespalt

Jenseits des Opern-Schöngesangs und auch sonst unerreichbar: Heute vor 20 Jahren starb Maria Callas  ■ Von Sabine Zurmühl

„Ich ziehe es vor, mich auf mich selber und mich allein zu verlassen“, wird Maria Callas aus dem Jahr 1970 zitiert, aus einer Phase ihres Lebens, in der sie – schenkt man den Biographen Glauben – reich und einsam in Paris lebte, mit Unterstützung von Tabletten und vielen Erinnerungen.

Das Ausruhen wäre ihr zu wünschen gewesen. Und nicht übelzunehmen. Wie von dieser weltweiten, unersättlichen, süchtigen Callas-Gemeinde, der es nicht reichte, daß sie 46mal die Tosca, 23mal die Turandot, die Kundry, die Norma und die Medea gesungen hatte, daß sie die „Scala ins Delirium“ versetzt und ihren Zuhörern ein dreigestrichenes Es serviert hatte, das „die Leute verrücktmacht“. Die Scala in Mailand und das Teatro La Fenice in Venedig, die Met, Mexiko, Berlin, Athen selbstverständlich. Manchesmal nachts Schallplattenaufnahmen und dann die Primadonna des Abends. Mehr desselben, weiter, weiter. Maria Callas hat eine Stimme gehabt, die mit ihren berühmten drei Registern für drei Sängerinnen gereicht hätte: Alt, Mezzo, Sopran, sie hat Töne gesungen, die oft jenseits des Schöngesangs waren, von einem unverwechselbaren Timbre, sie verband Kraft, Aggression und Weichheit, gellende, klare Höhe und schmeichelnde, grundierende Tiefe. Ingeborg Bachmann hat von ihrer Stimme gesagt: „Man konnte plötzlich durchhören durch Jahrhunderte.“ Solche Begabungen sind magisch, sie verwandeln die Zuhörenden, und sie schüchtern sie ein, weil sie wirklich nicht zu packen, nicht zu zählen, nicht zu vereinnahmen sind. Weil sie eine Irritation darstellen und ein Glück, weil sie Unterschiede deutlich machen, Unerreichbarkeiten.

Am besten kommt man deshalb damit klar, indem man erzählt, daß sie so pickelig und dick war als junges Mädchen, daß sie ein häßliches New Yorker Amerikanisch gesprochen habe, daß sie – wahrscheinlich nur aus Konkurrenz zu Renata Tebaldi – sich 30 Kilo heruntergehungert habe, daß sie so zickig und minderwertigkeitskomplexbeladen und geldgeil und pudelliebend gewesen sei, in dieser unerotischen Onkelehe mit Herrn Meneghini und dieser zu erotischen Nichtehe mit Tanker Onassis, daß sie einfach Vorstellungen abbrach mit der Begründung, sie habe eine Halsentzündung...

Maria Callas ist eine der ersten Frauen in den fünfziger Jahren gewesen, die ihren Wert als Künstlerin demonstrativ hoch ansetzte, die sich bestimmend in die Proben einmischte zu Opern, die allein ihretwegen auf den Spielplan gelangt oder sogar von ihr vorgeschlagen worden waren. Sie nahm sich, was ihr zustand. Man hätte sie lieber bescheidener gehabt.

Wieviel gilt, daß sie nur acht Jahre Schule aufzuweisen hatte, weil die Eltern zwischen Griechenland und den USA hin- und heremigrierten? Wieviel gilt, daß, als sie am 3. Dezember 1923 in New York geboren wird, ihr dreijähriger Bruder gerade gestorben war und die Mutter sich dringlichst nur einen neuen Sohn wünschte und sie erst nach vier Tagen zum ersten Mal angeschaut haben soll?

„Es ist ein tiefes Geheimnis, aus welchem Grunde ein Mädchen aus der Bronx, das in eine unmusikalische Familie hineingeboren wurde, mit der Fähigkeit hätte gesegnet sein sollen, das perfekte Rezitativ zu singen“, schrieb der Dirigent Nicola Rescigo, „sie besaß einen architektonischen Sinn, der ihr genau sagte, welches Wort sie in einem musikalischen Satz hervorzuheben hatte.“ Und in einer Kritik von 1942, sie ist 19 und singt die Tosca, heißt es: „Alle Fehler, alle Schwächen der Inszenierung sind vergessen, sobald Maria Kalogeropoulos erscheint, ein junges Mädchen, fast noch ein Kind... Musikalischer Instinkt und dramatischer Sinn sind Gaben, die man nicht in ihrem Alter erworben haben kann. Sie ist damit geboren worden.“

Ihre Fotos sind Ikonen. Die Rollenfotos mit den venezianischen Kostümen, den wallenden Gewändern der Lucia di Lammermoor, als Violetta in „La Traviata“ mit dem schulterfreien, dunklen Ballkleid, als Prinzessin Turandot mit dekorativer Perlenkrone, die schwarzen Augen noch mal schwarz eingerahmt unter diesen dramatischen Augenbrauen – und ein Mund, der nicht lächelt.

Wo liegt das Defizit? Darf die das? So schön singen, so schön aussehen? Darf die einfach hart arbeiten, einen verläßlichen Mann finden, geld-realistisch sein und sehr sehr fleißig, eine risikobereite Aufsteigerin eben? Darf die dem Gott der Met, Herrn Bing, ein Angebot ausschlagen, weil sie die angebotene Rolle nicht will? Wäre doch zu erinnern daran, daß die Registerübergänge zwischen ihren drei Stimmlagen leider, leider, leider nicht reibungslos funktionieren, man hört sie! – wäre daran zu erinnern, daß sie auf dem berühmten Premierenfoto der „Butterfly“ nun wirklich sehr häßlich aussieht, mit diesem viereckigen Megärenmund. Wäre daran zu erinnern, daß sie im Privaten so wahnsinnig spießig aussah mit dieser Perlenkette und den zwei Pudeln!

Die Sache mit dem Pudel hat sich ja zum Glück aufgeklärt. Hat doch ein junger Autor gerade einen ganzen Roman darüber geschrieben, wie er der Pudel der Callas war... Solange Maria Callas lebte, hatte sie mit Neid, Herabsetzung und großer Frauenfeindlichkeit zu kämpfen. Die Öffentlichkeit kümmerte sich zunehmend – Lady Diana Spencer läßt grüßen – um die Jet-set-Seite im Leben der Sängerin. Jeder maßte sich an, sie zu bewerten, ob sie den – natürlich falschen – Mann gewählt hatte, daß sie wahrscheinlich deshalb so „brüchig“, so „erloschen“ klinge, weil sie am falschen Ort zur falschen Zeit an der Bar gesehen worden ist oder auf der Luxusyacht.

1962, drei Jahre vor ihrem letzten Auftritt, hatte Joachim Kaiser sie mit Karajan in Berlin erlebt: „Der Callas Weltruhm ist kein Zufall. Was an ihr besticht, ist die unvergleichliche Wahrheit des Ausdrucks. Keine Sängerin versteht es wie sie, sich zum durchglühten Objekt eines Gefühls zu machen.“

Wer die Aufnahmen der Callas hört, hört diese Wahrhaftigkeit ihrer Stimme und ihres Spiels sofort. Darin ist sie – bei allen dramatischen Liebeshauptrollen – merkwürdig jungfräulich und erotisch verschlossen geblieben, in einer personalen Autonomie, die sie unabhängig machte, kraftvoll, souverän. Einer ihrer Bühnenpartner, Tito Gobbi, sagte: „Ich glaubte immer, daß sie unsterblich sei. Und: sie ist es!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen