: Mehr Arme, aber auch mehr Reiche
■ Die Einkommensschere öffnet sich in der Stadt schneller als im Bundesgebiet. 23 Prozent mehr Sozialhilfeempfänger – und mehr Millionäre. Gewerkschaften: „Ein Riß geht durch die Gesellschaft“
Die sozialen Gegensätze nehmen zu. Es gibt immer mehr arme, andererseits aber auch mehr reiche Menschen in der Stadt. Während die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 1995 bis 1996 um 23 Prozent auf 235.244 gestiegen ist, hat sich die Zahl der Einkommensmillionäre in Berlin seit der Wende auf 1.238 verdoppelt. Damit liegt Berlin an der Spitze eines Trends, den der Deutsche Gewerkschaftsbund gestern als „Riß durch die Gesellschaft“ bezeichnete.
Vor kurzem erst hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) festgestellt, daß sich die wirtschaftliche Flaute der Bundesrepublik in Berlin besonders deutlich niederschlage. Der von der stellvertretenden DGB-Chefin Ursula Engelen-Kefer vorgestellte Sozialhilfebericht bestätigt das. So hat zum Beispiel Köln lediglich einen Zuwachs von 3,7 Prozent an Sozialhilfeempfängern zu verzeichnen. In Dortmund sind es 2,6, in Rostock 13,8 Prozent. Auch in anderen Bundesländern ist der Anstieg längst nicht so signifikant wie in Berlin. In Thüringen stieg die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 1995 bis 1996 um 4,4 Prozent auf 39.349, in Sachsen um 11,2 Prozent auf 70.850.
Als „dramatischen Anstieg“ bezeichnete Gabriele Lukas, Sprecherin von Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU), die Berliner Entwicklung. Die wachsende Zahl von Sozialhilfeempfängern resultiere vor allem aus der zunehmenden Arbeitslosigkeit in Berlin. Nach Angaben der Sozialverwaltung erhielten in Berlin Ende 1996 91.733 Arbeitslose auch Sozialhilfe. Das sind knapp 40 Prozent der Sozialhilfeempfänger. Bundesweit liegt der Anteil der Arbeitslosen bei lediglich einem Drittel gegenüber zwei Dritteln an Pflegebedürftigen, Rentnern, Kindern oder Kranken.
Laut Lukas stieg die Zahl der Sozialhilfeempfänger seit der Wende kontinuierlich an. Erhielten 1991 noch 130.000 Berliner Hilfe zum Lebensunterhalt, waren es 1992 bereits 151.000. Ein Jahr später bezogen 166.000 Berliner Sozialhilfe, 1994 waren es 169.000 und 1995 dann 190.000. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger betrug damit 6,6 Prozent. Den meisten Anteil an Sozialhilfeempfängern hat Kreuzberg (15 Prozent), den niedrigsten Zehlendorf (2,1 Prozent). Dort wohnen mit 78 Millionären – neben Wilmersdorf mit 94 Millionären – allerdings die meisten Reichen der Stadt.
Wie groß der vom DGB beklagte „Riß durch die Gesellschaft ist“, zeigt nicht nur die steigende Zahl der Einkommens-, sondern auch die Zahl der Vermögensmillionäre. Sie betrug 1993 – dem Datum der letzten Erhebung – 5.764 Personen. Uwe Rada
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