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Grüne allein zu Haus

■ SPD verabschiedet sich vom rot-grünen Modell

Wer über die Aussichten für Rot- Grün nach der Bundestagswahl spekulierte, spielte bislang vor allem mit zwei Modellen. Die pessimistische Variante war: Mit der SPD von Schröder, Clement und Matthiesen sei eine Reformpolitik ohnehin nicht zu machen. Die meisten hingegen argumentierten mit einem Augenzwinkern: Rot und Grün müßten sich programmatisch spreizen, um die Wahl zu gewinnen. Die SPD solle ruhig mit einer kruden Mischung aus Mittelstandsrhetorik und Bergarbeiterlobbyismus viele Stimmen in der Mitte holen. Schröder müsse als die bessere Variante von Kohl vermarktet werden. Den Bündnisgrünen würde dann die Starrolle der wagemutigen ökologisch-sozialen Reformpartei zufallen, die über zehn Prozent der Stimmen holen könnte. Eine dritte Spielvariante, nämlich daß Rot und Grün gemeinsam ein Reformprojekt vorlegen, gilt schon seit Monaten kaum noch als Option.

Nach dem Beschluß des SPD-Vorstandes vom Montag steht das gemeinsame sozial-ökologische Reformprojekt endgültig nicht mehr zur Wahl. Der ökologische Umbau findet mit Schröders SPD programmatisch nicht statt.

Wichtiger noch: Den Bündnisgrünen dämmert, daß auch das Spiel mit Variante zwei wahrscheinlich ein Glasperlenspiel ist. Die SPD des Gerhard Schröder spielt nicht nur eine krude Rolle, sie ist so krude. Aus dem taktischen Spiel zur Verbreiterung der Wählerbasis ist bitterer Ernst geworden. Statt 1998 mit einem rot-grünen Modell anzutreten, stellt die SPD Schröder pur zur Abstimmung. Und sie will Schröder pur auch durchsetzen.

Das mag viele Linke bei den Grünen zunächst erleichtern. Doch es wird unterderhand zur bislang größten Herausforderung für die Partei. Die Grünen müssen allein für das rot-grüne Reformprojekt kämpfen. Sie müssen jetzt zeigen, daß sie auch solo die Köpfe und Ideen für ein rundum modernisiertes, ökologischeres, sozialeres Deutschland zur Wahl stellen können, daß sie ohne SPD-Flankenschutz diese Gesellschaft reif fürs 21. Jahrhundert machen können.

Ob man mit einer solchen Anstrengung Regierungspartei werden kann, wird sich im September 1998 zeigen. Doch ohne diese Anstrengung bleibt der gesamten Linken nur die Verweigerung oder der totale Schröder. Hermann-Josef Tenhagen

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