: Das Schwarze Meer ist blau und weiß
Eine verdichtete Erfahrung: Wie die Beklopptesten der Bekloppten nach Trabzon jetten, ein Fußballspiel mit Beteiligung des VfL Bochum erleben und sofort wieder nach Hause fliegen ■ Natürlich von Christoph Biermann
Trabzon/Köln (taz) – Wir sind die Beklopptesten der Bekloppten. Auch wenn man uns das morgens um sieben auf dem Flughafen in Köln nicht ansieht. Da gehört unsere graugesichtige Gruppe eher zu den Müdesten der Müden. Das hilft aber über den Punkt hinweg, unseren Tagesausflug völlig absurd zu finden. Fast jedenfalls.
Wir haben 629 Mark bezahlt, werden gleich in ein Flugzeug steigen, ungefähr vier Stunden lang nach Trabzon fliegen, irgendwo hinten links in der Türkei, dort ein Fußballspiel anschauen und dann wieder nach Hause zurückfliegen. Das wird verdichtete Erfahrung.
Außerdem geht es zu einem historischen Termin: unser VfL Bochum spielt zum ersten Mal im Europapokal. Und verdammt, wir fahren nach Kaiserslautern, Bremen oder Stuttgart. Wir waren in Meppen, Mainz und Mannheim. Immer unseren blau-weißen Helden hinterher. Da können wir doch heute nicht fehlen. Allerdings bemerkt der freundiche Herr im Duty-free-Shop ganz zu Recht, daß wir etwas deprimiert wirken. Schließlich warten im fernen Trabzon der flinke Angreifer Abdullah, der wendige Misse-Misse und im Stadion ein Hexenkessel auf uns. Wo unsere Jungs zur Zeit doch ziemlich herumgurken.
Aber es gibt Zeichen. Vom Flugsteig nebenan geht noch eine Pilgerreise – nach Lourdes. Vor der Drogerie werden graue Mäuse (VfL Bochum!) verkauft, im europablauen Kittel mit gelben Sternen (Uefa-Cup!) und Zauberstab (Zaubermaus Wosz!). Das richtige Maskottchen ist aber Holger Aden, unser ehemaliger Mittelstürmer, der leider viel zu früh Sportinvalide wurde und heute Fanartikel beim VfL verkauft. Aden sieht etwas angegriffen aus, er hatte wohl auch schon ein Bier zum Frühstück.
Mit ihm sind wir 143 Pilger in ungewisser Mission, fast nur Männer, in der Regel um die 30 Jahre alt. Gesichter, die man schon immer im Stadion gesehen hat. Menschen, die seit ewigen Zeiten ihr Schicksal an den VfL Bochum gekettet haben. Das verbindet mit den Witzbolden vom „Commando Bochum“, den alten und neuen Hooligans von „Bo-City“ (mit dem freundlichen Slogan „multikriminell“), den Jungs vom Fan-Club Hordel und all den anderen.
Bis eine Stunde vor Trabzon reicht es trotzdem nur zu müder Auswärtsfahrtroutine: Bier und Kartenspiel. Erst dann wird etwas gesungen, schöne Unsinnslyrik vor allem, „Das Schwarze Meer ist blau und weiß“, und noch alberner: „Türkyilmaz, Trabzonspor, Galatasaray / Döner Kebap, scheißegal / Bochum ist dabei.“
Als wir in Trabzon in die Busse steigen, steigert unser Reiseleiter die Vorfreude auf „eine der langweiligsten Städte, die es gibt“. Weshalb wir auch umstandslos durch die eng gewundenen Gassen zu einem Restaurant am Berg über der Stadt verfrachtet werden. Auf der Fahrt winken uns die Menschen begeistert zu. Oben angekommen, stürzt einer aus unserer Gruppe gleich über die Brüstung den Berg wieder ein Stück hinunter und sieht danach sehr verbeult aus. Gut, daß Alkohol narkotisierende Wirkung hat. Ein kleines internes Raufhändel kann schnell geschlichtet werden, dann setzen sich Kleingruppen in Richtung Stadtzentrum ab.
Auf dem Weg dorthin lächeln wir mit den Einheimischen um die Wette. Es lebe die Völkerverständigung! Jeder zweite am Wegesrand weist uns darauf hin, daß wir heute „besch“ Gegentore kassieren. Fünf zu null, ganz Trabzon ist sich da einig. Die Kinder ziehen alldieweil an unseren Schals und rufen „Schalte, Schalte“. Sie meinen wohl Schalke. Die waren ja letztes Jahr hier.
Im Stadion wird ein wenig Polizeistaat gespielt. Eine Hundertschaft Soldaten mit Helmen, Schilden und Gewehren bewacht uns. An den Eingängen werden Feuerzeuge und Kleingeld einkassiert. Ansonsten ist das Stadion eine Parodie auf alle Sicherheits- und Servicedoktrinen der internationalen Fußballverbände. Ein Teil der gut 600 Bochumer Anhänger wird über wackelige Bretter auf eine Tribüne geführt, die nicht einmal im Rohbau fertig ist. Wir stehen in der Kurve hinter dem Tor, wo die Stufen halbmeterhoch sind und die Toiletten der dunkelste Jauchekübel der Stadt. Der Zutritt dort kostet umgerechnet eine Mark, in der Stadt eine Mahlzeit das Doppelte.
Unserem lautstarken Überschwang tut das alles keinen Abbruch. Rechts neben der Anzeigetafel zeichnet sich die Silhouette eines Minaretts ab. Endlich, nach all den Jahren, sind wir im Europapokal angekommen. Der gefürchtete Hexenkessel ist die Stadionbaustelle zum Glück nicht.
Schon gar nicht, als Henryk Baluszinski nach einer Minute per Elfmeter das Europapokaltor für die Bochumer Geschichtsbücher schießt. Dann allerdings quält uns der sensationelle Hami mit seinen Dribblings, Flankenläufen und Torschüssen. Trabzonspor spielt toll in der Offensive und hinten schludrig. Das sorgt für eine schöne Halbzeit mit Chancen auf beiden Seiten, aber leider auch zwei Toren für die Gastgeber.
Nach dem Wechsel fällt das Spiel auseinander. Trabzon will nicht mehr so recht, Dariusz Wosz stolpert weiter seiner Form hinterher, und wir fallen in die über Jahrzehnte eingeübten Muster des Jammerns und Stöhnens zurück. Fan einer Fußballmannschaft zu sein ist eben eine Garantie für Leiden – der Europapokal ist nur die Luxusvariante davon. Immerhin bleibt es beim 2:1 für Trabzonspor.
In der Innenstadt geht die erneute Begegnung der Kulturen beinahe in die Hose. Freundlich winkend bewerfen uns Trabzon- Fans mit Chinakrachern. Sie scheinen das nett zu meinen. Wir ziehen uns in eine Bierbar zurück, um unser Völkerverständigungsprogramm unter weniger mißverständlichen Umständen fortzusetzen. Ein Herr am Nebentisch lobt die deutsch-türkische Nähe. Wir bringen ihm Zuprosten bei.
Aber schade, schon elf Uhr, wir müssen zum Flughafen, in zwei Stunden geht's wieder los nach Hause. Kurz vor dem Einstieg ins Flugzeug singen wir mit letzter Kraft noch einmal, daß das Schwarze Meer blau und weiß ist. Dann verlassen uns die Kräfte. Wir träumen von Europa. Und davon, noch häufiger die Beklopptesten der Bekloppten sein zu dürfen.
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