: Inhaltlich diskutieren II - betr.: "Junge Grüne gegen Denkverbote", taz vom 8./9.9.1997 und "Grüne Variante von KOhl", taz vom 10.9.1997
[...] Oberflächliche Vorwürfe wie „parteitaktisches Kalkül“, „Neoliberalismus“ oder „Entsolidarisierung“ dienen einer Tabuisierung und Feindbildmentalität. Besser als die „Alten“ tun es die Verfasser der „Mainzer Erklärung“ dann nicht! Zwischenfrage: Wann ist ein Engagement innerhalb einer Partei nicht taktisches Kalkül und mit Zielformulierungen verbunden? Wenn nicht, sollte es lieber unterbleiben.
Kritik am bestehenden System fordern die Verfasser der „Mainzer Erklärung“ ein. Gerade die gegenwärtige sozioökonomische Situation in Ostdeutschland sensibilisiert für die Wahrnehmung der Vor- und Nachteile des bestehenden Gesellschaftssystems. Aus den Schützengräben von einst läßt sich aber keine neue Gesellschaft entwerfen. Damit würde man die Ursachen für die Reformprozesse in Mittel- und Osteuropa ignorieren. Die Lage in Ostdeutschland verdeutlicht einerseits die krassen entsolidarisierenden Elemente einer Marktwirtschaft sowie das Mißtrauen in die Parteien- und Verbändedemokratie. Es bedarf neuer Modelle der Mitbestimmung im politischen Entscheidungsfindungsprozeß sowie im ökonomischen Bereich. Andererseits zeigt sich hier die Überholtheit von Forderungen aus Klassenkampfzeiten. Gerade ostdeutsche Arbeitnehmer zeigen neue Modelle der Arbeitszeitregelung auf, die im Westen noch als ein Tabubruch gelten. Anscheinend wiegen sich die Unterzeichner der „Mainzer Erklärung“ im guten Glauben der sozialen Errungenschaften von einst, klammern sich an ihnen fest, ohne den Ernst der Lage zu begreifen.
In diesem Sinn freue ich mich auf den Alternativentwurf, um eine inhaltlich bestimmte Diskussion beginnen zu können. Matthias Gräfe, 25, Stadtrat,
Vorstandsmitglied B'90/ Grüne,
Stadtverband Leipzig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen