Zwischen den Rillen: Getting pissy
■ Die HipHop-Herbstkollektion spielt im Sommer: Missy Elliott und Mc Lyte
Wahrscheinlich liegt es nur daran, daß es jetzt unaufhaltsam Herbst wird. Gut fühlt es sich jedenfalls nicht an, wenn mitten im kühlen September eine CD so perfekt wie die Sommernächte, von denen es dieses Jahr definitiv zu wenige gab, ins Haus flattert. Ja, Sommernacht, ein etwas überstrapazierter Vergleich gewiß, aber „Supa Dupa Fly“, das Debütalbum der multiinvolvierten Musikerin und Produzentin Missy Misdemeanor Elliot verlegt R'n'B und Soul und HipHop auf die imaginäre Dachterasse. Nicht die mit Glas und Chrom und plätschernden Wellen vor der Tür, sondern die Eastcoast-Variante derselben: Backstein, Teerpappe und Großstadtsäuseln untendrunter. Eine Party, auf der man auch um vier Uhr morgens keine Jacke überzuziehen braucht.
Wer war alles da? Ja, so alle eben: Busta Rhymes, Lil' Kim, Da Brat, Aaliyah, Timbaland und noch ganz viele andere. Und was ging da so ab? Na ja, direkt nach dem Intro von Busta Rhymes zum Beispiel rappt Lil' Kim in „Hit 'Em Wit Da Hee“: „Me and my girl Missy gettin pissy ...“ „Pissy“, was soviel heißt wie beschwipst sein, ein lustiger kleiner Rausch.
Drei Sekt, vier Zigaretten und 25 Grad Nachttemperatur, so schön kann das Leben sein. Entspannte Beats und verklausulierte Breaks, harmonischer Gesang gemixt mit toughen Rap-Einlagen, die nicht weh tun. Das ist süß, das ist melodiös, aber es trieft nicht, und es ist auch nicht niedlich. Das Pathos wurde weitestgehend an der Garderobe abgegeben. „Supa Dupa Fly“ enthält ganz viele Hits durch die Hintertür, die man schon beim ersten Mal Hören toll findet, beim zehnten Mal aber immer noch nicht mitsingen kann. Schade, daß als erste Single-Auskoppelung die ewige Coverversion diesmal in Gestalt von „The Rain“ von Ann Peebles herhalten muß.
Die vielbeschriebene Fusion von HipHop, Soul und R'n'B passiert auf „Supa Dupa Fly“ mehr und besser als bei vergleichbaren musikalischen Vorzeigeintegrationspersonen wie Mary J. Blige. Mußte die „Queen Of HipHop Soul“ noch mit großem Presse-Tamtam „ernsthafte“, authentische (Männer-)Rapper zu sich ans Mikro holen, um ihren hübsch verkitschten R'n'B straßenmäßig zu legitimieren, passiert das Tributzollen und Miteinander-Musizieren bei Missy Elliot im unaufgeregten Flow: Die Freunde und Freundinnen, die halt mal eben so vorbeischauen und scheinbar en passant ein wenig eigenen Flavour versprühen.
Genug von denen gibt es sowieso, denn Missy Elliot ist eine der gefragtesten Hitschreiberinnen der Eastcoast und Produzentin noch dazu. Die hübschesten Soft-Hop-Produktionen dieses Jahres im TLC-Stil, die garantiert jeder vom Hören kennt, aber niemand wirklich weiß, wer das noch mal ist, wie beispielsweise „If Your Girl Only Knew“ von Aaliyah oder „Can We“ von SWV, sind von Missy Elliot geschrieben. Und so finden sich über „Supa Dupa Fly“ versprengt auch noch ganz viele verschiedene Zitate aus diesen Hits, und die zugehörigen Musikerinnen sind auch noch da, und am Ende sind es genug Leute, um das Haus oder die Dachterrasse zu swingen.
Bleibt nur noch, die Liner Notes zu studieren, um, wie bei einer gelungenen Party auch, zu wissen, wer mit wem und warum und so weiter. Viel zu entdecken gibt es da jedoch nicht, man wird den Verdacht nicht los, daß sämtliche Ostküstenproduktionen ihre Danksagungen untereinander hin und herfaxen. Außer Mama Elliot: „Ich würde dich nicht gegen sechs Mercedes-Benz eintauschen, und du weißt, wie sehr ich Autos liebe.“ Dann also sieben Mercedes?
MC Lyte hat noch nicht mal anständige Liner Notes: „Peace and love to you all.“ Danke, und sonst? MC Lytes neues Album heißt „Badder than B fore“. Hinter diesem Namen könnte man glatt die neue Ehrlichkeit vermuten: „Schlechter als vorher“, ein mutiges Statement für ein reines Remix-Album. Oder heißt „bad“ auch hier „good“?
Gegen Remixe ist grundsätzlich nichts einzuwenden, auch nicht dagegen, noch ein paar Dollar extra für sich auf Seite zu schaffen. Schließlich wird alles immer teurer. Aber deswegen muß es noch lange nicht die 17. Version von „Cold Rock A Party“ sein: Oder ist das nur ein Mißverständnis? „Dem Nachwuchs eine Chance“, heißt es in der Promo-Beilage der Plattenfirma: „MC Lyte rief, und viele New Yorker Newcomer kamen.“ Geht es also eher um die Förderung junger Talente, ist „Badder Than B Fore“ eine Art Benefiz-Platte? Und was ist mit „Newcomern“ wie Sean Puffy Combs oder Mousse T.?
Die mischen auf dem Album nämlich auch kräftig hin und her, aber es hilft alles nichts, es hört sich nicht gut an. Und darum geht's doch am Ende. Letzte Hoffnung: Das Duett „I'm Leavin You“ mit Bootsy Collins. Bootsy Collins ist cool, Duette an und für sich eine wunderbare Erfindung, und trotzdem geht es haarscharf daneben. „I'm Leavin You“ ist der Beweis dafür, daß selbst der schönste Balzgesang hinüber ist, wenn der Drumcomputer auf „stumpf“ geschaltet ist.
Nein, zum Anhören taugt das nicht, vielleicht aber zum Verkaufen. Die Plattenfirma freut sich auf „den nächsten Single- Hit“, mit dem sie MC Lyte auch in Deutschland „ganz nach vorne bugsieren will“. Klingt nach Kraftakt. Dann doch lieber mit Missy Elliot und „Supa Dupa Fly“ sanft nach oben schweben. Heike Blümner
Missy Elliot: „Supa Dupa Fly“
MC Lyte: „Badder than B fore“ (beide EastWest)
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