: Jesus rockt dich
Satan, wo ist dein Stachel? In der Teufelsmusik jedenfalls nicht mehr. Christlicher Rock erlebt in den USA einen Boom wie noch nie. Bloß Erzkonservative und Jesusfundamentalisten verdammen noch nach Art der Väter ■ Von Thomas Winkler
Sie heißen Ezekial's Wheel, Adam Again, Seven Day Jesus oder Jars of Clay, welch letztere ihren Namen aus dem zweiten Brief an die Korinther entliehen haben. Sie spielen Reggae, Hardcore, HipHop und vor allem Rock. Ihre Plattenfirmen heißen Tooth & Nail Records, Gospel Music Association oder Ark Records und setzen nach Schätzungen von USA Today jährlich 750 Millionen US-Dollar um, Tendenz steigend. „Zeitgenössische christliche Musik ist heute ein Milliarden-Dollar-Geschäft“, erkannte CNN, und „die Umsätze haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht“.
Noch nie zuvor war christliche Rockmusik oder contemporary christian music, abgekürzt CCM, in den USA so erfolgreich. Zwar wird die Musik immer noch zu ungefähr 80 Prozent über die klassischen Vertriebswege, christliche Buchläden und Mail orders, umgesetzt; aber CCM hat ihr Ghetto verlassen, normale Plattenfirmen beginnen das kommerzielle Potential zu erkennen und verpflichten Christenrocker.
Der finanziell erfolgreichste Rock-Act für den Major Virgin nach den Smashing Pumpkins waren im letzten Jahr die Newsboys, deren „Take Me To Your Leader“ selbst im alternativen College-Radio gespielt wurde. „Jesus Northwest“, ein alljährliches Festival in Vancouver, ungefähr 150 Kilometer südlich von Seattle, lockte als christliches Gegenstück zu Lollapalooza Ende letzten Jahres 23.000 Jugendliche. Man moshte fröhlich im Schlamm und trug Flanellhemden und Strickmützen. Nur auf den Baseballkappen stand schon mal „God Jams“, auf den T-Shirts „Property of Jesus“.
Der mit Abstand erfolgreichste CCM-Act sind DC Talk, ein aus Washington D.C. stammendes Sangestrio, das mit vom Rap beeinflußter Musik begann und sich für die Single „Jesus Freak“ schon mal ein knorke Nirvana-Riff hinmischen läßt oder in freundlichstem Schmusesoul die Frage „What if I Stumble?“ stellt. DC Talks vierte LP stieg im letzten November in den USA prompt auf Nr.16 der Billboard-Album- Charts ein und verkaufte in der ersten Woche 86.000 Einheiten – mehr als zum Beispiel die letzten Veröffentlichungen von Neil Young, Prince oder des abgefeierten Beck schafften. „Wir gehören in die Rockabteilung von Tower Records“, hat DC Talks Toby McKeehan gefordert, und seine Band hat am bisher eindrucksvollsten die Mauer zwischen den beiden bisher streng getrennten Geschäftswelten eingerissen. Auch vom Outfit ist das Trio nicht von der durchschnittlichen Mainstream-Rockband zu unterscheiden: McKeehan trägt ein modisches Grunge-Bärtchen und Michael Tait Dreadlocks. Beim dritten im Bunde, Kevin Max Smith, steht das blaue Seidenhemd weit offen, die schwere Halskette blitzt, die Nägel der linken Hand sind blau lackiert.
„In den letzten zehn Jahren hat die christliche Musikindustrie schließlich ziemlich armselige Musik hervorgebracht“, so einfach erklärt Smith den überwältigenden Erfolg von CCM in den letzten Jahren. Er selbst sieht seine Band eh in erster Linie als eine Produktionseinheit mit dem Ziel, „die bestmögliche Musik zu machen. Das ist das einzige, was für mich zählt.“ Aber darüber gehen schon innerhalb der Band die Meinungen auseinander. „Wenn wir drei zusammensitzen, um Musik zu schreiben, kommt dabei natürlich auch unser Glaube zum Ausdruck“, meint Smith, während McKeehan mitteilt: „Wir wollen Missionare unserer Generation sein.“
In diesem Ziel mag sich die christliche Community in den USA einig sein, der Weg dorthin ist weiterhin schwer umstritten. Während moderne Kirchenmenschen sich der Anziehungskraft von Rockmusik bedienen, lehnt ein Großteil der meist konservativen Gemeinden und Kirchenführer jede Modernisierung weiter ab. Die Argumente gegen CCM stammen dabei zum großen Teil noch aus den 70er Jahren, als die Flower Power Generation Jesus als Hippie-Prototypen entdeckt hatte. Damals verdammten US-Theologen George Harrsions „My Sweet Lord“ ebenso wie Jugendgottesdienste mit Rockmusikbeschallung. Heute wettern sie gegen den „Hedonismus unter dem Deckmantel der Religion“ und befürchten, daß „die religiösen Rocker nicht etwa die verlorenen Seelen erreichen, sondern statt dessen die jugendlichen Kirchgänger zu Abhängigen von Rock machen“.
Ein Vorwurf, der auch immer wieder Billy Graham und seine sogenannten „Kreuzzüge“ trifft. Der für amerikanische Verhältnisse fast liberale Evangelist engagierte bereits in den 60er Jahren den frisch bekehrten Cliff Richards zur Erbauung der Gläubigen. Eine Tradition, die DC Talk in den letzten Jahren fortsetzten. Auch wenn Smith diese Koalition zwischen dem Kirchenmann und der Rockband inzwischen ein wenig im Magen liegt und er davon ausgeht, daß eine weitere Bekehrungszusammenarbeit nicht stattfinden wird, ist Graham für ihn, trotz unterschiedlicher politischer Überzeugungen, immer noch eine respektable Figur: „Graham ist kein Fake- Evangelist, der versucht, mit dem Glauben Geld zu verdienen.“
Mit 90 Prozent aller Evangelisten würde Smith niemals gemeinsam eine Bühne betreten – und macht damit die Zerrissenheit innerhalb der Community klar. Eine Kluft, die zum großen Teil zwischen Jung und Alt verläuft. Rockmusik, so versuchen die Wertkonservativen immer wieder mit einem verwegenen Sample aus Bibel-Zitaten und pseudowissen
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schaftlichem Material zu beweisen, ist grundsätzlich Teufelszeug. So wird auf die Ursprünge von Rock 'n' Roll verwiesen, die Musik sei angeblich aus dem Voodookult entstanden. Außerdem hätte die Studie eines indischen Wissenschaftlers ergeben, daß Rockmusik das Wachstum von Pflanzen gehemmt habe. Christliche Texte würden am grundsätzlich verderblichen Einfluß der Musik auf den Körper dann natürlich auch nichts mehr ändern, man könne schließlich auch auf eine Whiskeyflasche nicht einfach einen Aufkleber „christlich“ pappen. David Tame behauptet in seinem Buch „The Secret Power of Music“ gar: „Rock in allen seinen Formen ist ein gefährliches Problem, das unsere Gesellschaft in den Griff bekommen muß, wenn sie überleben will.“
Es ist natürlich ein Problem des Christenrocks, wenn seine Protagonisten aufgrund ihres Glaubens auf einen Großteil seiner wesentlichen Bestandteile wie Sex, Rebellion, Respektlosigkeit verzichten müssen. Ist christlicher Rock gerade noch Rock 'n' Roll, oder ist er schon nicht mehr Rock 'n' Roll? Einer der lautstärksten Kritiker von CCM, der Publizist Jeff Godwin, berühmt durch mannigfaltige Veröffentlichungen zum Thema wie „Dancing with Demons“, „The Devils Disciples“ oder „What's Wrong with Christian Rock?“, bringt die Sicht der Konservativen so auf den Punkt: „Irgend etwas ist tödlich falsch, wenn Christen dieselben unheiligen Entschuldigungen benutzen wie die Perversen von KISS, um ihre Verdorbenheit zu rechtfertigen. [...] Christlicher Rock hat seine Gehirnwäsche vollendet.“
Die Bands bieten ihren Kritikern auch reichlich Angriffsfläche. DC Talk zum Beispiel propagieren zwar öffentlich sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe, aber Smith gibt offenherzig zu, daß er sich selbst nicht daran gehalten hat. Auch würde er jederzeit bei einer Schwulenveranstaltung auftreten, wenn man ihn denn bitten würde. Und man hat nicht nur beim USA- Besuch des Papstes in Denver gesungen, sondern eben auch schon in Jay Lenos Talkshow. Für ihren Clip zu „Jesus Freak“ engagierten sie den Videoregisseur Simon Maxwell, der mit „Hurt“ von Nine Inch Nails bekannt wurde. Im Clip kollidieren weiße Tauben mit brennenden Büchern und Kreuzen, während McKeehan „What can I say, Jesus is the way“ singt, dazwischengeschnitten Szenen aus Propagandafilmen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Natürlich rief der Clip in der christlichen Community keine ungeteilte Begeisterung hervor, DC Talk bekamen Briefe von verschreckten Eltern, aber die Reaktionen waren moderater, als es die Verantwortlichen selbst erwartet hatten. „Die Kirche hat sich ziemlich verändert“, glaubt Smith.
Zur Verteidigung der Rockmusik werden fast ebenso verwegene Theorien herangezogen wie zu ihrer Verdammung. So behauptet der altgediente gläubige Musiker Larry Norman, daß Rock 'n' Roll ursprünglich in den Kirchen des letzten Jahrhunderts entstand und dann vom Teufel für seine Zwecke benutzt wurde.
So lächerlich die Argumente beider Seiten klingen mögen, die Macht der christlichen Wertkonservativen hat in den letzten Jahren eher zugenommen. So streuten christliche Elternorganisationen wie die erzkonservative American Family Association vor der US- Tournee der Schockrocker und angeblichen Satanisten Marylin Manson das Gerücht, auf der Bühne fänden Tieropfer, Vergewaltigungen, Sodomie und Drogenmißbrauch statt. Dabei hat Kevin Smith aus sicherer Quelle erfahren, daß Marilyn Manson gar kein Satanist ist, „sondern nur so tut“. Aber auch er weiß, wie das Geschäft läuft: „Alice Cooper hat mal gesagt, beim Rock 'n' Roll geht es nur darum, die Eltern anzupissen, damit sich die Kinder die Platte kaufen.“ Der Prototyp aller Elternschocker ist übrigens, auch das weiß Smith zu erzählen, seit drei Jahren ein wiedergeborener Christ.
Die eigentlichen Adressaten des theologischen Streits scheinen darüber fast in Vergessenheit zu geraten. Aber im Internet finden sich neben Tausenden von Pamphleten gegen CCM auch Anlaufstellen für die verwirrten Jugendlichen. In der Online-Ausgabe des Magazins Heaven's Metal gibt ein „Pastor Bob“ Lebenshilfe. Der Dr. Sommer des christian rock beantwortet Fragen wie diese: „Meine Freunde sagen, es ist eine Sünde, weltliche Musik zu hören. Was soll ich bloß tun?“
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