: Nie war Rot-Grün so wahrscheinlich wie heute
■ Alle Knackpunkte, an denen die Verhandlungen vor vier Jahren scheiterten, sind ausgeräumt. So bleibt nur ein Problem: Bürgermeister Voscherau will nicht
Hamburgs Erster Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) gehört nicht zu denen, die die Entscheidung der WählerInnen mit Demut hinnehmen. Man könne ihn nicht „blind buchen“, ließ er die Hansestadt unlängst wissen. Und: Die WählerInnen sollten nicht glauben, „man könne dem Bürgermeister ruhig mal einen Denkzettel“ verpassen. Ist das Ergebnis der SPD zu schlecht, so seine Drohung, werde er nach fast zehnjähriger Amtszeit zurücktreten. Voscheraus Schmerzgrenze: Deutlich unter 40 Prozent.
Doch das Rücktrittspalaver bereitet den Sozialdemokraten keine Sorgen. Zum einen hat Voscherau schon zu oft gedroht. Zum anderen liegt die SPD in Umfragen konstant zwischen 39 und 40 Prozent. Nicht wenige hoffen sogar auf das „Wunder von Niedersachsen“ – eine absolute Mehrheit.
Von Herzen begrüßen würde es der Bürgermeister aber auch, wenn er das Regierungsbündnis mit der Statt Partei um vier Jahre verlängern könnte. Denn die Fortführung rechter SPD-Politik mit anderen Mitteln hat Voscherau die Führung des Senats noch leichter gemacht, „als wenn wir lauter Sozis dringehabt hätten“. Bekanntlich hat man ja allzuoft auch mit der eigenen Partei nichts als Ärger. Die Mehrheit wünscht Rot-Grün, obwohl sie genau weiß, daß der Chef weder Widerworte schätzt noch „jeden Quatsch mitmacht“.
Auf den Wechsel wartet auch die Grün-Alternative Liste (GAL) mit großer Sehnsucht. Polit-Promi Krista Sager kehrte im vergangenen Jahr eigens aus Bonn an die Elbe zurück, um die GAL in den Wahlkampf zu führen. Dieses Mal soll das bisher beste grüne Ergebnis einer Landtagswahl von 13,5 Prozent noch übertroffen werden. Tatsächlich verheißen Umfragen den Grünen 14 bis 16 Prozent.
Die Chancen für Rot-Grün waren noch nie so günstig wie heute. Alle Knackpunkte, an der die Verhandlungen vor vier Jahren noch scheiterten – von der Hafenstraße bis zu großen Bauprojekten wie die Hafenerweiterung –, sind vom Tisch. Echte Koalitionsgegner gibt es nicht mehr. Alles könnte so schön sein, wenn, ja, wenn sich nicht des Bürgermeisters Nackenhaare sträubten, sobald Krista Sager um die Ecke biegt. Mit Sagers Intimus, dem Finanzexperten und Fraktionschef Willfried Maier, würde Voscherau „eine Koalition auf Handschlag gründen, ohne Verhandlungen“, streute Voscherau Salz in die Wunden. Den Maier schätze er eben.
Obendrein wird der Druck aus Bonn ein Jahr vor den Bundestagswahlen nicht unerheblich sein, sind Rot-Grün-Strategen überzeugt. Voscherau will Bundesfinanzminister werden. „Mir ist er in Bonn willkommen, dazu muß er aber erst einmal Rot-Grün in Hamburg hinkriegen“, sagte Joschka Fischer noch vor wenigen Tagen. Eine große Koalition wäre jedenfalls der denkbar schlechteste Auftakt für den Kanzlersturz.
Doch gerade darauf hoffen die ewigen Oppositionellen von der Hamburger CDU. Zusammen mit Statt Partei und FDP – beide werden den Sprung ins Parlament wohl nicht schaffen – wetteifern sie mit fast schon prostituierenden Zügen um die Gunst Voscheraus. Mit nur 30 prognostizierten Prozent hat der CDU-Spitzenkandidat und Hoffnungsträger Ole von Beust auch gar keine Alternative. Voscheraus Law-and-order-Wahlkampf und seine Zweifel am Euro jagen der CDU zusätzlich Stimmen ab.
Nützen, so steht zu befürchten, werden die rechtspopulistischen Töne des Bürgermeisters allerdings den braunen Gruppierungen. Schon 1993 verfehlten die Reps mit 4,8 Prozent nur knapp den Einzug in die Bürgerschaft. Das Stimmenpotential wird auf zehn Prozent geschätzt, verteilt auf sechs Parteien. Als habe man die Stärkung der Rechten nicht veraussehen können, setzt nun, wenige Tage vor der Wahl, das große Zittern ein. Doch die Geister, die Voscherau gerufen hat, „kriegt man nicht mehr in die Flasche“, so GALierin Anna Bruns. Silke Mertins, Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen