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Reklamieren leichtgemacht!

■ Der Mensch als Urlauber ist besonders sensibel, doch Einheimische am Strand sind eindeutig kein Reisemangel. Einige Verbrauchertips für die Beschwerde

Es gibt Pauschalurlauber, die vom ersten Augenblick ihrer Reise an verbissen und penibel, ja vorsätzlich, Buch führen über Mängel, die sie am Ferienort vorfinden. Mit der Kamera halten sie fest, was so bestimmt nicht im Katalog gestanden hat: fiese Kakerlaken im Bett, versaute Strände, tanzende Mäuse im Speisesaal.

„Wir gehen davon aus, daß ein bis drei Prozent der Urlauber einer Pauschalreise beim Veranstalter reklamieren“, sagt Peter Hamburger, Justitiar beim Deutschen Reisebüro-Verband (DRV), in dem die deutschen Reiseveranstalter organisiert sind. Bei 45 Millionen Pauschalreisen im letzten Jahr immerhin geschätzte 500.000 unzufriedene Urlauber, die mangelhafte Leistungen anprangerten und einen Teil ihres Geldes zurückforderten. Der ganz überwiegende Teil der Reklamationen würde aber, so Hamburger vom DRV, im Einvernehmen zwischen Reiseveranstalter und Reisendem beigelegt. Ziehen Urlauber aber vor den Kadi, haben sie meist schlechte Karten: Etwa 80 Prozent aller Fälle wurden im letzten Jahr von den Gerichten gegen die Reisenden entschieden, rekapituliert DRV-Justitiar Hamburger. Dennoch ist das Prozeßrisiko für viele klagende Kunden kein Hemmnis: Sie haben eine Rechtsschutzversicherung im Rücken.

„Die Aussichten bei Gericht werden leider schlechter, die Gerichte reagieren zunehmend genervt“, bedauert Wolfgang Schuldzinski, Reiserechtsexperte bei der Verbraucher-Zentrale NRW. Die Reisebranche habe es erfolgreich geschafft, reklamierenden Urlaubern ein Querulantenimage anzuhängen. Sie würde „Ausreißer“, also tatsächlich skandalöse Kundenklagen, groß aufblasen: Sind Einheimische am Strand einer karibischen Insel ein Reisemangel? Nein, empörte sich das Amtsgericht Aschaffenburg und wies die Klage auf Rückerstattung eines Teils des Reisepreises zurück. Oder die „Klage“ vor dem Kadi, daß Schwarze sich am Swimmingpool des Urlaubsdomizils in Florida aufhielten. Oder daß Kirchenglocken in Oberbayern läuteten. Alles schon dagewesen!

Wer im Alltag beim Dauergebelle von Nachbars Lumpi fünf gerade sein läßt, der regt sich im Urlaub leicht über jeden tropfenden Wasserhahn auf. „Die Reiseindustrie schürt mit ihren Traumurlaub-Angeboten hohe Erwartungen“, erklärt Verbraucherschützer Schuldzinski die relative Beschwerdefreude deutscher Touristen. Aus der Sicht des Kunden müsse in den drei Urlaubswochen alles 100prozentig klappen. Die meisten Urlaubsbeschwerden kreisen, weiß Schuldzinski aus der Reiserechtspraxis, um die Ausstattung des Zimmers: statt des gebuchten 2-Raum-Appartements gibt es nur ein 1-Raum-Appartement, in der Hauptsaison sind Zimmer „überbucht“ (d.h. Kunde steht ohne Bett da), die versprochene Klimaanlage fehlt.

Das Reisevertragsgesetz, 1979 als 651 ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen, regelt die Geschäftsbeziehungen zwischen Veranstaltern und Touristen bei Pauschalreisen. Die sogenannte Frankfurter Tabelle, von drei Richtern des Frankfurter Landgerichts 1985 zusammengestellt, bietet (allerdings unverbindliche) Richtwerte für den Reisepreisabzug bei Mängeln. Für verdorbene oder ungenießbare Speisen können beispielsweise 20 bis 30 Prozent zurückerstattet werden; bei Lärm in der Nacht sieht die Tabelle je nach Zeit und Intensität 10 bis 40 Prozent Preisabzug vor; ein verschmutzter Strand ist mit 10 bis 20 Prozent Nachlaß angegeben.

Doch die Frankfurter Tabelle ist heftig umstritten und wird besonders von der Reisebranche nicht ernst genommen. Für DRV- Justitiar Hamburger hat sie „bestenfalls eine Funktion als grobe Orientierungshilfe“, weil kaum zwei Fälle identisch seien. Auch Verbraucherschutzzentralen erkennen an, daß die Tabelle nicht verbindlich und jedes Gericht völlig frei ist, eigene Sätze zur Reisepreisminderung vorzunehmen. Faktisch konsultierten viele Richter, so Verbraucherschützer Schuldzinski, aus Arbeitsersparnis aber doch die Tabelle.

Wie würden Sie entscheiden? Bei Kamelmist und Tang an den Stränden tunesischer Ferienzentren? Das sei ortsüblich, meinten die Richter und gewährten keine Minderung des Reisepreises (Landgericht Köln, 1993). Bei „Duftschwaden“ aus einer Rumfabrik in der Dominikanischen Republik? Die Klägerin erhielt 10 Prozent des Reisepreises zurück, weil die Rumfahne ihr Urlaubsvergnügen geschmälert hatte (Oberlandesgericht Düsseldorf, 1994). Bei reichlich Alphörnern und Jodlern rund um die Uhr auf einer Karibik-Kreuzfahrt? Ein klagendes Ehepaar erhielt ein Drittel des Reisepreises vom Veranstalter zurück, weil es von 500 begeisterten Vertretern des „Schweizer Vereines der Volksmusikfreunde“ malträtiert worden war (Amtsgericht Frankfurt, 1993).

Vor allem bei stark subjektiv empfundenen Urlaubsmängeln verweigern Gerichte die „Geld zurück!“-Forderung der klagenden Urlauberschaft. Wann ist die Grenze zum schlechten Geschmack eines Hotelessens überschritten? Wie klein muß eine Portion sein, damit das Essen nicht mehr als „reichhaltig“ gilt? Alles subjektive Erbsenzählerei. Und selbst der Skorpion am Bett eines Kleinkinds war für das Landgericht Frankfurt kein preismindernder Grund, berichtete die Zeitschrift Finanztest der Stiftung Warentest (Ausgabe Juni/97). Zwar sei der Stich eines Skorpions durchaus schmerzhaft, erkannten die Richter; er steche aber nur dann, wenn er sich bedrängt fühle. Was lehrt uns das? Erst wenn das Baby den Skorpion gebissen hat und dieser dann zurücksticht, liegt wohl ein be-klagenswerter Urlaubsmangel vor. Günter Ermlich

Die Broschüre „Aus der Traum vom Traumurlaub? Pauschalreise- Reklamationen“ (135 S.) ist für 9,50 DM plus Versandkosten erhältlich bei der Verbraucher-Zentrale Nordrhein-Westfalen, Adersstraße 78, 40215 Düsseldorf.

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